Der Dunkle Turm 4 - Glas
Fahrstühle von Bürogebäuden, die er benutzt hatte, um Sendungen zuzustellen, überwiegend Gebäude, in denen Banken oder Anlagefirmen residierten. Es gab Etagen, wo man den Fahrstuhl nicht anhalten und aussteigen konnte, es sei denn, man hatte eine spezielle Karte, die man in den Schlitz unter den Zahlen schob. Wenn der Fahrstuhl zu diesen abgesperrten Etagen kam, wurde die Zahl in der Anzeige durch ein X ersetzt.
»Ich glaube«, sagte Roland, »wir müssen den Balken wiederfinden.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Eddie. »Kommt, machen wir uns auf den Weg.« Er machte zwei Schritte, dann drehte er sich mit hochgezogenen Brauen zu Roland um. »Wohin?«
»Die Richtung, in die wir gefahren sind«, sagte Roland, als wäre das offensichtlich gewesen, ging mit seinen staubigen, rissigen Stiefeln an Eddie vorbei und auf den Park gegenüber zu.
Kapitel 5
H IGHWAYSURFEN
1
Roland ging zum Ende des Bahnsteigs und kickte unterwegs rosa Metallteile aus dem Weg. An der Treppe blieb er stehen und drehte sich mit ernstem Gesicht zu den anderen um. »Noch mehr Tote. Wappnet euch.«
»Die sind doch nicht… äh… glibberig, oder?«, fragte Jake.
Roland runzelte erst die Stirn, aber sein Gesicht hellte sich auf, als er begriff, was Jake meinte. »Nein. Nicht glibberig. Trocken.«
»Dann ist es gut«, sagte Jake, hielt aber Susannah, die momentan von Eddie getragen wurde, die Hand hin. Sie lächelte ihm zu und legte die Finger um seine.
Am Ende der Treppe, die zum Pendlerparkplatz an der Seite der Bahnhofshalle führte, lagen ein halbes Dutzend Leichen zusammen wie eine umgestürzte Korngarbe. Zwei Frauen, drei Männer. Nummer sechs war ein Kind in Strampelhosen. Ein Sommer tot in Sonne und Regen und Hitze (ganz zu schweigen davon, der Barmherzigkeit von streunenden Katzen, Waschbären oder Murmeltieren ausgesetzt zu sein) hatten dem Baby einen Ausdruck von uralter Weisheit und Rätselhaftigkeit verliehen, wie bei einer Kindermumie aus einer Inkapyramide. Jake vermutete anhand der ausgebleichten blauen Kleidung, dass es ein Junge gewesen sein musste, aber mit Sicherheit konnte man es nicht sagen. Ohne Augen und Lippen und mit einer zu staubigem Grau verblassten Haut machte es das Geschlecht zu einem Witz – wie war das gestorbene Baby auf die Straße gekommen? Weil es auf die Supergrippe getackert war.
Dennoch schien der Kleine die Reise durch Topekas einsame Monate nach der Seuche besser überstanden zu haben als die Erwachsenen um ihn herum. Sie waren wenig mehr als Skelette mit Haaren. In spindeldürren, von lederner Haut umhüllten Knochen, die einmal Finger gewesen waren, hielt einer der Männer den Griff eines Koffers, der wie der Samsonite aussah, den Jakes Eltern besaßen. Was das Baby betraf, dessen Augen waren (wie bei allen anderen) nicht mehr da; große, leere Höhlen starrten Jake an. Darunter war ein Ring farbloser Zähne zu einem streitsüchtigen Grinsen entblößt. Was hat dich so lange aufgehalten, Junge?, schien der tote Mann mit dem Koffer zu fragen. Ich hab auf dich gewartet, und es war ein langer heißer Sommer!
Wo habt ihr Leute gehofft, hingehen zu können?, fragte sich Jake. Wo, bei der gequirlten Kacke, habt ihr gedacht, wäre es sicher genug? Des Moines? Sioux City? Fargo? Auf dem Mond?
Sie gingen die Treppe hinunter, Roland als Erster, die anderen hinter ihm; Jake hielt, dicht gefolgt von Oy, immer noch Susannahs Hand. Der Bumbler mit seinem lang gestreckten Leib schien jede Stufe in zwei Abschnitten zu nehmen, wie ein Wohnwagen mit zwei Achsen, der gerade über Bremsschwellen fuhr.
»Langsam, Roland«, sagte Eddie. »Ich möchte die Krüppelplätze überprüfen, bevor wir weiterziehen. Möglicherweise haben wir Glück.«
»Krüppelplätze!«, sagte Susannah. »Was soll das denn sein?«
Jake zuckte die Achseln. Er wusste es nicht. Roland ebenso wenig.
Susannah wandte sich Eddie zu. »Ich frage nur, Süßer, weil es sich ein wenig on -angenehm anhört. Du weißt schon, als würde man Neger ›Schwarze‹ oder Schwule ›warme Brüder‹ nennen. Ich weiß, ich bin nur eine arme dumme Provinzschnepfe aus den dunklen Tagen von 1964, aber…«
»Da.« Eddie zeigte auf eine Reihe Schilder, die den Weg zum nächstgelegenen Parkplatz des Bahnhofs wiesen. An jedem Pfosten befanden sich zwei Schilder, das obere jedes Paars blau und weiß, das untere rot und weiß. Als sie etwas näher kamen, sah Jake, dass das obere das Symbol eines Rollstuhls zeigte. Bei dem unteren handelte es
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