Der Dunkle Turm 4 - Glas
sie das tun wollte und so sehr das Mädchen es auch verdient hatte; möglicherweise hätte ihr Thorin die Glaskugel weggenommen, und das würde Rhea nicht ertragen. Jedenfalls noch nicht. Sie konnte dem Mädchen nicht wehtun, aber sie konnte etwas tun, was ihm die Lust an ihr verderben würde, jedenfalls vorläufig.
Rhea beugte sich dichter zu dem Mädchen, ergriff den langen Zopf auf deren Rücken, ließ ihn durch die Faust gleiten und genoss die seidige Glätte.
»Susan«, flüsterte sie. »Kannst du mich hören, Susan, Tochter des Patrick?«
»Aye.« Susan schlug die Augen nicht auf.
»Dann hör zu.« Das Licht des Kussmonds fiel auf Rheas Gesicht und verwandelte es in einen silbernen Totenschädel. »Hör mir gut zu und denk dran. Denk dran in der tiefen Höhle, wohin dein wacher Verstand niemals hinabsteigt.«
Sie zog den Zopf immer und immer wieder durch ihre Hand. Seidig und glatt. Wie die kleine Knospe zwischen den Beinen des Mädchens.
»Denk dran«, sagte das Mädchen an der Tür.
»Aye. Du wirst etwas tun, wenn er dich entjungfert hat. Du wirst es sofort tun, ohne auch nur darüber nachzudenken. Hör mir jetzt zu, Susan, Tochter des Patrick, und hör mich wohl an.«
Rhea streichelte weiter das Haar des Mädchens, während sie die runzligen Lippen an Susans Ohr hielt und im Mondschein flüsterte.
Kapitel 3
E INE B EGEGNUNG AUF DER S TRASSE
1
In ihrem ganzen Leben hatte sie keine derart seltsame Nacht erlebt, daher war es wahrscheinlich nicht überraschend, dass sie den Reiter hinter sich erst hörte, als er sie fast erreicht hatte.
Was sie auf dem Rückweg in die Stadt am meisten beschäftigte, war ihr neues Verständnis der Übereinkunft, die sie geschlossen hatte. Es war gut, einen Aufschub zu haben – es dauerte noch Monate, bis sie ihren Teil der Vereinbarung erfüllen musste –, aber der Aufschub änderte nichts an der grundlegenden Tatsache: Wenn der Dämonenmond voll war, würde sie ihre Jungfräulichkeit an Bürgermeister Thorin verlieren, einen spindeldürren, zappeligen Mann mit flaumigem weißem Haar, das wie eine Wolke von dem kahlen Fleck oben auf seinem Kopf abstand. Ein Mann, dessen Frau ihn mit einer gewissen verzweifelten Traurigkeit betrachtete, deren Anblick einem wehtat. Hart Thorin war ein Mann, der brüllend lachte, wenn eine Schauspielertruppe ein Stück aufführte, bei dem Köpfe aneinander gestoßen wurden, zum Schein zugeschlagen und mit faulen Früchten geworfen wurde, der aber nur verwirrt dreinschaute, wenn eine Geschichte pathetisch oder tragisch war. Er ließ die Knöchel knacken, klopfte jedem auf den Rücken, rülpste bei Tisch und war ein Mann, der die Angewohnheit hatte, bei jedem zweiten Wort seinen Kanzler anzusehen, als wollte er sich vergewissern, dass er Rimer nicht in irgendeiner Form vor den Kopf gestoßen hatte.
Das alles hatte Susan häufig bemerkt; ihr Vater war jahrelang verantwortlich für die Pferde der Baronie gewesen und hatte häufig geschäftlich in Seafront zu tun gehabt. Seine heiß geliebte Tochter hatte er dabei viele Male mitgenommen. Oh, sie hatte eine Menge von Hart Thorin im Lauf der Jahre zu Gesicht bekommen, und er auch von ihr. Vielleicht zu viel! Im Augenblick schien das wichtigste Faktum an ihm zu sein, dass er fast fünfzig Jahre älter als das Mädchen war, das möglicherweise seinen Sohn austragen sollte. Sie hatte die Vereinbarung leichten Herzens geschlossen – Nein, nicht leichten Herzens, damit war sie ungerecht gegen sich selbst… aber es hatte ihr auch nicht den Schlaf geraubt, so viel war richtig. Als sie sich sämtliche Argumente von Tante Cord angehört hatte, hatte sie gedacht: Na ja, es ist wirklich eine Kleinigkeit, wenn man dafür den Pachtvertrag umgewandelt bekommt; endlich unser eigenes kleines Stück der Schräge zu besitzen, nicht nur das Lehen… Dokumente zu besitzen, eines in unserem Haus und eines in Rimers Unterlagen, in denen geschrieben steht, dass es uns gehört. Aye, und wieder Pferde zu besitzen. Nur drei, das ist wahr, aber das sind drei mehr, als wir jetzt haben. Und was ist dafür zu tun? Ihm ein- oder zweimal beizuwohnen, um ein Kind auszutragen, etwas, was Millionen Frauen vor mir getan haben, ohne Schaden zu nehmen. Schließlich werde ich nicht gebeten, mit einem Mutanten oder Leprakranken die Partnerschaft einzugehen, sondern nur mit einem alten Mann, dessen Knöchel knacken, ’s ist nicht für ewig, und, wie Tante Cord sagt, ich könnte immer noch heiraten, wenn die Zeit und das
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