Der Dunkle Turm 6 - Susannah
Seite eingesetzten Fenster waren mit Brettern verschalt. Ebenfalls auf dieser Seite des Gebäudes verlief ein Stahlrohr zum Anbinden von Reittieren. Dort waren momentan schätzungsweise siebzig Pferde angebunden, alles Grauschimmel. Manche waren umgefallen und lagen mit steif ausgestreckten Beinen da. Einige wenige hatten den Kopf den Stimmen der beiden Frauen zugewandt und schienen dann in dieser Haltung erstarrt zu sein. Das Ganze war ein für Pferde sehr ungewöhnliches Verhalten, aber die hier waren natürlich keine richtigen Pferde. Sie waren Roboter oder Cyborgs oder welche von Rolands Bezeichnungen man sonst dafür verwenden wollte. Viele der Tiere schienen abgenutzt oder defekt zu sein.
Vor dem Gebäude stand eine angerostete Stahlplatte mit folgendem Text:
NORTH CENTRAL POSITRONICS, LTD.
Zentrale Fedic
Experimentalstation Bogen 16
Maximale Sicherheitsstufe
VERBALER ZUTRITTSCODE ERFORDERLICH
AUGENABDRUCK ERFORDERLICH
»Das ist ein weiterer Dogan, nicht wahr?«, sagte Susannah.
»Nun, ja und nein«, sagte Mia. »Eigentlich ist das der Dogan aller Dogans.«
»Wo die Wölfe die Kinder hingebracht haben.«
»Aye, und sie wieder hinbringen werden«, sagte Mia. »Das Werk des Königs wird nämlich fortgesetzt, nachdem die von deinem Freund, dem Revolvermann, verursachte Störung behoben ist. Daran zweifle ich nicht.«
Susannah betrachtete sie mit ehrlicher Neugierde. »Wie kannst du so Grausames aussprechen und trotzdem so heiter sein?«, fragte sie Mia. »Sie bringen Kinder hierher und schaben ihre Köpfe aus wie… wie Kürbisse. Kinder, die niemandem etwas zuleide getan haben! Was sie dann zurückschicken, sind große unbeholfene Schwachsinnige, die ihre volle Größe nur unter grausigen Schmerzen erreichen und oft auf nämliche Weise sterben. Wärst du auch so gelassen, Mia, wenn dein Kind quer über einem dieser Sättel liegend fortgeschleppt würde, wenn es nach dir kreischend die Armchen ausstrecken würde?«
Mia errötete, aber sie schaffte es, Susannahs Blick zu erwidern. »Jede von uns muss der Straße folgen, auf die das Ka ihre Füße gestellt hat, Susannah von New York. Meine ist die, den kleinen Kerl zu gebären und aufzuziehen, um so das Wirken deines Dinhs zu beenden. Und sein Leben.«
»Es ist wundervoll, wie jeder zu wissen glaubt, was Ka speziell für ihn bedeutet«, sagte Susannah. »Findest du das nicht auch wundervoll?«
»Ich glaube, du versuchst, dich über mich lustig zu machen, weil du Angst hast«, sagte Mia nüchtern. »Wenn du dich dadurch besser fühlst, dann aye, nur zu!« Sie breitete die Arme aus und vollführte über den dicken Bauch hinweg eine sarkastische Verbeugung.
Sie waren auf dem hölzernen Gehsteig gegenüber dem Dogan von Fedic vor einem Geschäft für HÜDE & DAMENBEKLEIDUNG stehen geblieben. Verplempere den Tag, dachte Susannah. Vergiss nicht, dass auch das zu deinem hiesigen Auftrag gehört. Schlag die Zeit tot. Sorge dafür, dass der seltsame Körper, den wir uns jetzt zu teilen scheinen, so lange wie nur möglich im Hotel auf der Damentoilette bleibt.
»Ich mache mich nicht über dich lustig«, sagte Susannah. »Ich verlange von dir nur, dich einmal an die Stelle all dieser anderen Mütter zu versetzen.«
Mia schüttelte so zornig den Kopf, dass ihr rabenschwarzes Haar ihr um die Ohren flog und die Schultern streifte. »Ich habe ihr Schicksal nicht gemacht, Lady, und sie nicht meines. Ich spare mir meine Tränen, vielen Dank. Willst du meine Geschichte nun hören oder nicht?«
»Doch, ich bitte darum.«
»Dann wollen wir uns hinsetzen, meine Beine sind nämlich arg müde.«
10
Im Gin-Puppie Saloon, einige verfallende Fassaden in entgegengesetzter Richtung zurück, fanden sie Stühle, die ihr Gewicht noch tragen konnten, aber keine der beiden Frauen hatte Lust, im Saloon selbst, der nach staubigem Tod roch, zu sitzen. Sie schleiften die Stühle auf den hölzernen Gehsteig hinaus, wo Mia sich mit einem hörbaren Seufzer der Erleichterung niederließ.
»Bald«, sagte sie. »Bald wirst du erlöst, Susannah von New York, und ich ebenfalls.«
»Schon möglich, aber ich verstehe das alles nicht. Am wenigsten, weshalb du es so eilig hast, zu diesem Sayre zu kommen, obwohl du doch wissen musst, dass er dem Scharlachroten König dient.«
»Pst!«, sagte Mia. Sie saß mit gespreizten Beinen da, zwischen denen ihr dicker Bauch hervorragte, und blickte auf die leere Straße hinaus, »‘s war ein Mann des Königs, der mir die
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