Der Dunkle Turm 6 - Susannah
eben nicht in leeren Raum.« Sie senkte die Stimme noch mehr. »Diese Tür ist für die erbittertsten Feinde des Roten Königs reserviert. Sie werden in ein Dunkel gestoßen, in dem sie – blind, umherirrend, wahnsinnig – jahrelang überleben können. Aber letztlich findet sie immer irgendetwas und verschlingt sie. Ungeheuer, die das Vorstellungsvermögen von Köpfen wie unseren weit übersteigen.«
Susannah merkte, dass sie sich eine solche Tür vorzustellen versuchte – und auch das, was dahinter lauerte. Sie wollte es eigentlich nicht, war aber machtlos dagegen. Ihr Mund wurde trocken.
Im selben halblauten und irgendwie grässlichen vertraulichen Ton sagte Mia: »Es hat viele Orte gegeben, wo das Alte Volk versucht hat, Magie und Wissenschaft zu vereinen, aber der dort drüben ist vielleicht der einzige, der noch übrig ist.« Sie nickte zum Dogan hinüber. »Dorthin hat Walter mich gebracht, um mich sterblich zu machen, mich für immer vom Weg der Prim abzubringen.
Um mich wie dich zu machen.«
13
Mia schien nicht alles zu wissen, aber soviel Susannah verstand, hatte Walter/Flagg dem Geist, der später den Namen Mia erhalten sollte, das Ebenbild eines faustischen Handels angeboten. Wenn sie bereit war, ihren nahezu unsterblichen, aber körperlosen Zustand aufzugeben und eine sterbliche Frau zu werden, konnte sie schwanger werden und ein Kind bekommen. Walter sagte ihr ehrlich, wie wenig sie für alles, was sie aufgab, tatsächlich bekommen würde. Das Baby würde nicht aufwachsen, wie es gewöhnliche Babys taten – wie es der kleine Michael vor Mias unsichtbaren, aber anbetenden Augen getan hatte –, und sie würde ihn nur sieben Jahre lang behalten dürfen, aber oh, was für herrliche Jahre das sein konnten!
Darüber hinaus hatte Walter taktvoll geschwiegen und es ganz Mia überlassen, sich eigene Bilder auszudenken: Wie sie ihren Kleinen stillen und ihn baden würde, ohne die empfindlichen Falten in den Kniekehlen und hinter den Ohren zu vergessen; wie sie die zarte Stelle zwischen den ungefiederten Flügeln seiner Schulterblätter küssen würde; wie sie mit ihm gehen und seine Hände in ihren halten würde, während er dahinwackelte; wie sie ihm vorlesen, ihm den Alten Stern und die Alte Mutter am Nachthimmel zeigen und ihm die Geschichte erzählen würde, wie Häher-Sam der Witwe ihren besten Laib Brot stahl; wie sie ihn an sich drücken und seine Wange mit dankbaren Tränen benetzen würde, wenn er sein erstes Wort sprach, das natürlich Mama sein würde…
Susannah hörte sich diese begeisterte Schilderung mit einer Mischung aus Mitleid und Zynismus an. Walter hatte es jedenfalls teuflisch gut verstanden, Mia diese Vorstellung zu verkaufen, und wie immer funktionierte so etwas am besten, wenn man dafür sorgte, dass das Opfer wie von selbst draufkam. Er hatte ihr sogar eine wahrhaft satanische Eigentumsperiode von sieben Jahren angeboten. Unterschreiben Sie einfach auf der gepunkteten Linie, Madam, und lassen Sie sich bitte durch diesen Hauch von Pech und Schwefel nicht stören; mir will es einfach nicht gelingen, den Geruch aus den Kleidern zu bekommen.
Susannah verstand den Handel und hatte trotzdem Mühe, ihn zu begreifen. Dieses Wesen hatte seine Unsterblichkeit gegen morgendliche Übelkeit, angeschwollene und schmerzende Brüste und – in den letzten sechs Wochen ihrer Schwangerschaft – das Bedürfnis eingetauscht, ungefähr alle Viertelstunde pinkeln zu müssen. Aber wartet, Leute, da kommt noch mehr! Zweieinhalb Jahre lang Windeln wechseln, die von Pisse klatschnass und von Kacke schwer sind! Und nachts aufstehen, weil der Kleine vor Schmerzen kreischt, während sein erster Zahn durchbricht (und Kopf hoch, Mami, es kommen nur noch neunzehn Milchzähne). Diese erste magische Kotzerei! Der erste herzerquickende Urinstrahl über den Nasenrücken, wenn der Kleine losspritzt, während man ihm die Windel wechselt!
Doch, ja, es würde magische Augenblicke geben. Obwohl sie nie ein eigenes Kind gehabt hatte, wusste Susannah, dass selbst in Koliken und vollen Windeln Magie liegen konnte, wenn das Kind aus einer liebevollen Vereinigung entstanden war. Aber ein Kind zu haben und es dann weggenommen zu bekommen, wenn alles gerade gut wurde, wenn das Kind sich gerade dem näherte, was nach Ansicht der meisten Leute das Alter der Vernunft, Verantwortlichkeit und Zurechnungsfähigkeit war? Damit es dann über den roten Horizont des Scharlachroten Königs entführt wurde? Das war eine
Weitere Kostenlose Bücher