Der Dunkle Turm 6 - Susannah
schreckliche Vorstellung. Und war Mia von ihrer bevorstehenden Mutterschaft etwa so besessen, dass sie nicht erkannte, dass das wenige, das man ihr versprochen hatte, bereits allmählich reduziert wurde? Walter/Flagg hatte sie in Fedic, inmitten einer dramatischen Inszenierung der Folgen des Roten Todes, aufgesucht und ihr sieben Jahre mit ihrem Sohn versprochen. Bei seinem Anruf im Plaza-Park hatte Richard P. Sayre bereits nur noch von fünf gesprochen.
Jedenfalls hatte Mia in die Bedingungen des dunklen Mannes eingewilligt. Aber wie viel Spaß konnte es wirklich gemacht haben, sie dazu zu bringen? Sie war für Mutterschaft geschaffen, war mit diesem Imperativ aus der Prim aufgestiegen und hatte ihre Bestimmung selbst erkannt, als sie ihr erstes vollkommenes Menschenkind, den kleinen Michael, gesehen hatte. Wie hätte sie Nein sagen können? Selbst wenn das Angebot auf nur drei Jahre, vielleicht sogar auf nur ein Jahr gelautet hätte, wie? Ebenso gut hätte man von einem langjährigen Junkie erwarten können, eine gefüllte Spritze zurückzuweisen, wenn sie ihm angeboten wurde.
Mia war also in die Experimentalstation des Bogens 16 gebracht worden. Der lächelnde, sarkastische (und zweifellos beängstigende) Walter, der sich manchmal Walter von Endwelt und manchmal Walter von Allwelt nannte, hatte eine Besichtigungstour mit ihr gemacht. Sie hatte den Saal voller Betten gesehen, die auf Kinder warteten, die kommen und sie füllen würden; am Kopfende jedes Betts hing eine Schädelkappe aus rostfreiem Stahl, an die ein Gliederschlauch aus Stahlsegmenten angeschlossen war. Sie hatte sich nicht vorstellen mögen, wozu solche Geräte dienen konnten. Walter hatte ihr auch einige der Gänge unter dem Schloss am Abgrund gezeigt, und sie war an Orten gewesen, wo der Geruch nach Tod durchdringend und erstickend gewesen war. Sie… es hatte eine rote Dunkelheit gegeben, und sie…
»Warst du da schon sterblich?«, fragte Susannah. »Das Ganze klingt danach.«
»Ich war dorthin unterwegs«, sagte sie. »Es war ein Vorgang, den Walter als Werden bezeichnete.«
»Gut, erzähl ruhig weiter.«
Hier verloren Mias Erinnerungen sich jedoch in einer dunklen Poriomanie – kein Flitzen, jedoch keineswegs angenehm. Eine Art Gedächtnisschwund, und er war rot. Eine Farbe, der Susannah zu misstrauen gelernt hatte. War der Übergang der Schwangeren aus der Welt des Geistes in die Welt des Fleisches – ihr Weg zu Mia – durch irgendeine andere Art Tür bewirkt worden? Sie selbst schien es nicht zu wissen. Nur dass es eine Zeit der Dunkelheit – der Bewusstlosigkeit, wie sie vermutete – gegeben hatte, aus der sie schließlich aufgewacht war, »wie du mich jetzt siehst. Nur natürlich noch nicht schwanger.«
Wie Walter ihr erklärt hatte, konnte Mia auch als Sterbliche nicht selbst ein Kind bekommen. Austragen, ja. Empfangen, nein. Und so war es geschehen, dass einer der dämonischen Elementargeister dem Scharlachroten König einen großen Dienst erwiesen hatte, indem er in weiblicher Gestalt Rolands Samen aufgenommen und ihn in männlicher Gestalt an Susannah weitergegeben hatte. Dafür hatte es auch noch einen weiteren Grund gegeben. Walter hatte ihn zwar nicht erwähnt, aber Mia kannte ihn dennoch.
»Es war wegen der Prophezeiung«, sagte sie, während sie über die menschenleere, schattenlose Hauptstraße von Fedic hinausblickte. Auf der anderen Straßenseite stand ein Roboter, der wie Andy aus der Calla aussah, stumm und verrostend vor dem Fedic Café, das GUD & BILLICH ESSEN versprach.
»Welche Prophezeiung?«, fragte Susannah.
»›Der Letzte aus der Linie des Eld wird durch Blutschande ein Kind mit seiner Schwester oder Tochter zeugen, und der Knabe wird ein Mal tragen; an seiner roten Ferse sollt ihr ihn erkennen. Er ist’s, der den Atem des letzten Kriegers zum Stehen bringen wird.‹«
»Weib, ich bin nicht Rolands Schwester, auch nicht seine Tochter! Dir ist vielleicht der kleine, aber bedeutsame Unterschied in unserer Hautfarbe nicht aufgefallen, dass seine nämlich weiß und meine schwarz ist.« Aber Susannah glaubte, dennoch ziemlich gut zu verstehen, was die Prophezeiung besagte. Familien entstanden auf unterschiedliche Weise. Blutsverwandtschaft war nur eine davon.
»Hat er dir nicht gesagt, was das Wort Dinh bedeutet?«, fragte Mia.
»Natürlich. Es bedeutet Führer. Hätte er nicht nur drei schäbige Revolvermannfrischlinge, sondern ein ganzes Land zu führen, würde es König bedeuten.«
»Führer und
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