Der Dunkle Turm 6 - Susannah
müssen, aber er stellte fest, dass er ihn noch immer mühelos beherrschte.
»Ich habe etwas für dich, aber es ist nicht von einer Frau. Es ist von einem gewissen Stephen King.« Sie lächelte. »Das ist doch wohl nicht der berühmte Schriftsteller? Oder kennst du den?«
»Nein, Ma’am«, sagte Jake und warf Callahan kurz einen heimlichen Blick zu. Beide hatten erst vor kurzem zum ersten Mal von Stephen King gehört, aber Jake verstand, warum seinem jetzigen Weggefährten bei der Erwähnung dieses Namens vermutlich ein kalter Schauder über den Rücken lief. Callahan schien es im Augenblick nicht gerade kalt zu sein, aber er hatte den Mund zu einer schmalen Linie zusammengepresst.
»Na ja«, sagte sie, »das ist vermutlich ein häufiger Name. Bestimmt gibt’s überall in den Vereinigten Staaten normale Stephen Kings, die sich wünschen, er würde… ich weiß nicht… mal Ruhe geben.« Sie ließ ein nervöses kleines Lachen hören, und Callahan fragte sich, was sie so nervös machte. Oy, der weniger hundeartig wirkte, je länger man ihn betrachtete? Möglich, aber Callahan war so, als läge es eher an Jake – an etwas, das Gefahr flüsterte. Vielleicht sogar Revolvermann. Jedenfalls hatte Jake etwas an sich, durch das er sich von anderen Jungen unterschied. Erheblich. Callahan musste daran denken, wie Jake die Ruger aus der Dockerschlinge gezogen und dem unglücklichen Taxifahrer unter die Nase gehalten hatte. Erzähl mir, dass du zu schnell gefahren bist und beinahe meinen Freund überfahren hättest!, hatte er so ähnlich gekreischt, während sein Zeigefinger am Abzug schon weiß war. Erzähl mir, dass du nicht mit einem Loch im Kopf hier auf der Straße sterben willst!
War das die Art, wie ein gewöhnlicher Zwölfjähriger auf einen Beinahe-Unfall reagierte? Das glaubte Callahan nicht. Er fand, dass die Empfangsdame Recht hatte, nervös zu sein. Was ihn selbst anging, merkte Callahan, dass er in Bezug auf ihre Chancen im Dixie Pig jetzt etwas optimistischer war. Nicht sehr, aber immerhin ein wenig.
7
Jake, der möglicherweise spürte, dass hier etwas nicht ganz im Lot war, bedachte die Empfangsdame mit seinem besten Ich-komme-mit-Erwachsenen-aus-Lächeln, das Callahan jedoch zu sehr an Oys erinnerte: zu viele Zähne.
»Augenblick, bitte«, sagte sie und wandte sich von ihm ab.
Jake warf Callahan einen verständnislosen Blick zu, der Was hat sie bloß? zu fragen schien. Callahan zuckte die Achseln und breitete die Hände aus.
Die Empfangsdame trat an einen Wandschrank hinter ihr, öffnete ihn, sortierte den Inhalt der auf einem Fach stehenden Box und kam dann mit einem Umschlag, der das Logo des Hotels Plaza-Park trug, an die Theke zurück. Vorn auf dem Umschlag stand Jakes Name – und noch etwas anderes – in einer Schrift, die halb Schreibschrift, halb Druckschrift zu sein schien:
Jake Chambers
Das ist die Wahrheit
Sie schob ihn über die Theke und achtete sorgfältig darauf, dass ihre Finger sich nicht berührten.
Jake griff danach und ließ die Finger über den Umschlag gleiten. Er enthielt ein Blatt Papier. Und noch etwas anderes. Einen harten schmalen Streifen. Jake riss den Umschlag auf und zog das Blatt heraus. Darin eingewickelt war eine dünne Magnetkarte aus weißem Kunststoff, eine Schlüsselkarte des Hotels. Auf dem beigelegten Zettel mit dem offenbar witzig gemeinten Aufdruck AN ALLE ANGEBER stand eine Mitteilung. Sie war nur drei Zeilen lang:
Dad-a-chum, dad-a-cha, keine Sorge, der Schlüssel ist schon da.
Dad-a-chud, dad-a-chod, sieh nur, Jake, der Schlüssel, der ist rot!
Jake betrachtete die Magnetkarte und sah, wie sie sich abrupt verfärbte, fast augenblicklich blutrot wurde.
Konnte nicht rot sein, bevor die Mitteilung gelesen war, dachte Jake und lächelte. Er blickte auf, um zu sehen, ob die Empfangsdame die Verwandlung der Schlüsselkarte beobachtet hatte, aber sie hatte offenbar etwas gefunden, das am entferntesten Ende der Rezeptionstheke erledigt werden musste. Und Callahan begutachtete ein paar Frauen, die gerade von der Straße hereingeschlendert kamen. Er mochte ein Pere sein, überlegte Jake sich, aber sein Blick für die Damenwelt schien weiterhin einwandfrei zu funktionieren.
Jake sah wieder auf das Blatt und konnte gerade noch die letzte Zeile lesen:
Dad-a-chum, dad-a-chik, gib dem Jungen einen Schlüssel aus Pastik.
Vor ein paar Jahren hatten seine Eltern ihm zu Weihnachten einmal einen Chemiebaukasten geschenkt.
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