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Der Dunkle Turm 6 - Susannah

Titel: Der Dunkle Turm 6 - Susannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
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das Mikrofon umklammert hielt.
    »Hier spricht Susannah-Mio, die sich jetzt abmeldet. Gott sei mit euch, Jungs. Gott und Ka.«
    Sie stellte das Mikrofon ab und schloss die Augen.
     
     
    12
     
    Susannah nahm die Veränderung in Mia sofort wahr. Obwohl sie das Dixie Pig erreicht hatte und ihre Wehen nachdrücklichst eingesetzt hatten, war Mia ausnahmsweise in Gedanken woanders. Sie dachte an Odetta Holmes und daran, was Michael Schwerner das Mississippi-Sommerprojekt genannt hatte. (Was die Rednecks in Oxford ihn genannt hatten, war »der Judenjunge« gewesen.) Die emotionale Atmosphäre, in die Susannah zurückkehrte, war aufgeladen, nicht anders als die stille Luft vor einem heftigen Septembersturm.
    Susannah! Susannah, Tochter des Dan!
    Ja, Mia.
    Ich habe zugestimmt, sterblich zu sein.
    Das hast du erzählt.
    Und in Fedic hatte Mia unzweifelhaft sterblich gewirkt. Sterblich und erschreckend schwanger.
    Trotzdem habe ich den größten Teil dessen verpasst, was das kurzzeitige Leben lebenswert macht. Habe ich Recht? Der Kummer in dieser Stimme war schrecklich; das Erstaunen noch schlimmer. Aber die Zeit reicht nicht mehr aus, dass du mir davon erzählen könntest. Jetzt nicht mehr.
    Fahr woanders hin, sagte Susannah, ohne im Geringsten darauf zu hoffen. Halt ein Taxi an, lass dich in ein Krankenhaus fahren. Dort können wir’s gemeinsam bekommen, Mia. Vielleicht können wir’s sogar gemeinsam auf…
    Wenn ich es an einem anderen Ort als hier bekomme, stirbt es – und wir mit ihm. Sie sprach mit vollkommener Gewissheit. Und ich werde es bekommen. Ich bin um alles außer meinem kleinen Kerl betrogen worden, und ich werde ihn bekommen. Aber… Susannah… bevor wir hineingehen…du hast von deiner Mutter gesprochen.
    Ich habe gelogen. Ich war damals selbst in Oxford. Lügen war einfacher, als zu versuchen, Zeitreisen und Parallelwelten zu erklären.
    Zeig mir die Wahrheit. Zeig mir deine Mutter. Zeig sie mir, ich bitte dich!
    Die Zeit reichte nicht aus, um das Für und Wider dieser Bitte zu erwägen; man musste sie spontan erfüllen oder ablehnen. Susannah entschied sich dafür, es zu tun.
    Sieh her, sagte sie.
     
     
    13
     
    Im Land der Erinnerung ist die Zeit immer das Jetzt.
    Es gibt eine nichtgefundene Tür
    (o verlorene)
    und als Susannah sie fand und öffnete, sah Mia eine Frau mit zu einem Nackenknoten zusammengefasstem schwarzem Haar und verblüffend grauen Augen. An der Kehle trägt diese Frau eine Kameenbrosche. Sie sitzt am Küchentisch, diese Frau, in einem immer währenden Sonnenstrahl. In dieser Erinnerung ist es ewig zehn nach zwei an einem Oktobernachmittag des Jahres 1946, der Große Krieg ist zu Ende, aus dem Radio dringt Irene Daye, und es duftet immer nach Pfefferkuchen.
    »Odetta, komm und setz dich zu mir«, sagt die am Tisch Sitzende, sie, die Mutter ist. »Iss etwas Süßes. Du siehst hübsch aus, mein Mädchen.«
    Und sie lächelt.
    O verlorenes und vom Wind betrauertes Gespenst, komm zurück!
     
     
    14
     
    Recht prosaisch, würdet ihr sagen, ja, das könntet ihr. Ein kleines Mädchen kommt mit ihrer Schultasche in der einen und ihrem Beutel mit Turnsachen in der anderen Hand heim, trägt ihre weiße Bluse und ihren plissierten Schottenrock von St. Anne’s und die Kniestrümpfe mit Schleifchen an der Seite (orange und schwarz, die Schulfarben). Ihre am Küchentisch sitzende Mutter blickt auf und bietet ihrer Tochter ein Stück von dem Pfefferkuchen an, der gerade aus dem Backofen gekommen ist. Dies ist nur einer von einer Million anonymer Augenblicke, ein einziges Ereignis-Atom aus einem Leben voller Ereignisse. Aber Mia verschlug es den Atem
    (du siehst hübsch aus, mein Mädchen)
    und zeigte ihr auf ganz konkrete Weise, die sie bis dahin nicht begriffen hatte, wie reich Mutterschaft sein konnte… das heißt, wenn sie ungehindert ihren Gang gehen durfte.
    Die Belohnung?
    Unmessbar.
    Zuletzt könntest du selbst die Frau sein, die dort in einem Sonnenstrahl sitzt. Du könntest diejenige sein, die das Kind betrachtet, das tapfer aus dem Hafen seiner Kindheit ausläuft. Du könntest der Wind in den nun gesetzten Segeln dieses Kindes sein.
    Du.
    Odetta, komm und setz dich zu mir.
    Mia stockte der Atem.
    Iss etwas Süßes.
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen, wodurch das lächelnde Karikaturschweinchen auf der Markise sich erst verdoppelte und dann vervierfachte.
    Du siehst hübsch aus, mein Mädchen.
    Ein wenig Zeit war besser als gar keine. Selbst fünf Jahre – oder drei – waren

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