Der Dunkle Turm 6 - Susannah
Ton anzugeben, brachte sie zum Schweigen. »Wie kommst du darauf, mein Freund? Sag’s mir, ich bitte dich.«
Der verschlagene Gesichtsausdruck blieb. Mich kannst du nicht auf den Arm nehmen, besagte er. So deutete Susannah ihn wenigstens. »Mats, Maturin«, sagte er. »Maturin, Mats. Verstehst du?«
Susannah verstand, was er meinte. Sie wollte ihm schon erklären, dass das nur ein Zufall sei, dachte dann aber: Calla, Callahan.
»Ja, ich verstehe«, sagte sie. »Aber die Skölpadda gehört nicht dir. Auch nicht mir.«
»Wem sonst?« Wehleidig. Wemsons?, so klang es.
Und bevor ihr Verstand sie daran hindern konnte (oder ihre Äußerung wenigstens zensieren konnte), sprach Susannah die Wahrheit aus, die ihr Herz und ihre Seele kannten: »Sie gehört dem Turm, Sai. Dem Dunklen Turm. Und ich werde sie dorthin zurückbringen, so das Ka es will.«
»Die Götter seien mit dir, Lady-Sai.«
»Und mit dir, Mats. Lange Tage und angenehme Nächte.« Sie sah dem schwedischen Diplomaten nach, wie er davonging, dann blickte sie auf die geschnitzte Schildkröte hinunter und sagte: »Das war alles ziemlich unglaublich, Mats, alter Knabe.«
Mia interessierte sich nicht für die Schildkröte; sie hatte immer nur ein Ziel vor Augen. In diesem Hotel, sagte sie. Gibt’s dort ein Telefon?
3
Susannah-Mia steckte die Schildkröte in eine ihrer Jeanstaschen und zwang sich dazu, noch weitere zwanzig Minuten auf der Parkbank zu verweilen. Einen Großteil dieser Zeit verbrachte sie damit, ihre neuen unteren Extremitäten zu bewundern (wem sie auch gehörten, sie waren große Klasse) und mit ihren neuen Zehen in ihren neuen
(geraubten)
Schuhen zu wackeln. Zwischendurch schloss sie die Augen und versetzte sich in den Kontrollraum des Dogans. Dort waren weitere Reihen von Warnleuchten aufgeflammt, und die Maschinerie unter dem Fußboden pochte lauter als je zuvor, wenngleich die Nadel der mit SUSANNAH - MIO beschrifteten Anzeige weiterhin nur ein kleines Stück weit im gelben Sektor stand. Wie sie vorausgesehen hatte, waren im Fußboden Risse entstanden, die momentan aber noch nicht gefährlich wirkten. Die Situation war nicht großartig, aber doch so, dass sie vorerst damit leben zu können glaubte.
Worauf wartest du?, wollte Mia wissen. Warum sitzen wir hier tatenlos rum?
Ich gebe dem Schweden Gelegenheit, das Hotelzimmer für uns zu buchen und wieder zu verschwinden, antwortete Susannah.
Als sie schließlich glaubte, dass er nun lange genug Zeit dafür gehabt hatte, stand sie auf, sammelte ihre Taschen ein, überquerte die Second Avenue und folgte der Forty-sixth Street in Richtung Hotel Plaza-Park.
4
Die Hotelhalle war voller angenehmen Nachmittagslichts, das von Winkeln aus grünem Glas reflektiert wurde. Susannah hatte noch nie einen so schönen Raum gesehen – das heißt, außer der St.-Patricks-Kathedrale –, aber er hatte auch etwas Fremdartiges an sich.
Weil er in der Zukunft liegt, dachte sie.
Dafür gab es weiß Gott genügend Anzeichen. Die Autos waren kleiner und sahen völlig anders aus. Viele der jüngeren Frauen, denen sie begegnete, liefen mit entblößtem Bauch und sichtbaren BH-Trägern herum. Letzteres Phänomen musste Susannah bei ihrem Spaziergang die Forty-sixth Street hinunter vier- oder fünfmal sehen, bevor sie völlig davon überzeugt war, dass sie keinem Irrtum unterlag und es sich hier um irgendeine bizarre Modetorheit handelte. In ihrer Zeit wäre eine Frau, deren BH-Träger sichtbar war (oder ein Stück Unterrock, im Süden schneit’s, so hatte die Redensart gelautet), auf der nächsten öffentlichen Toilette verschwunden, um das mit einer Sicherheitsnadel in Ordnung zu bringen – und zwar schnellstens. Was die Sache mit den nackten Bäuchen betraf…
Damit wäre man außer auf Coney Island überall festgenommen worden, dachte sie. Ganz ohne Zweifel.
Was sie jedoch am meisten beeindruckte, war auch am schwierigsten dingfest zu machen: Die Stadt kam ihr einfach größer vor. Sie röhrte und summte überall um einen herum. Sie vibrierte. Jeder Atemzug transportierte ihre charakteristischen Gerüche. Die vor dem Hotel auf Taxis wartenden Frauen (mit oder ohne sichtbare BH-Träger) konnten nur New Yorkerinnen sein; die Portiers (nicht einer, sondern zwei), die Taxis heranwinkten, konnten nur New Yorker Portiers sein; die Taxifahrer (sie war überrascht, wie viele von ihnen dunkelhäutig waren, und sah sogar einen, der einen Turban trug) konnten nur New Yorker Taxifahrer
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