Der Dunkle Turm 6 - Susannah
auf das Wasser, das hohl gegen die Bootswand aus Aluminium klatschte.
»Langsame Mutanten«, sagte der alte Knabe, der die Wörter fast auszukosten schien. »Haja, das war kein schlechter Name für die, schätz ich mal. Aber die sind nicht die Einzigen. Es gibt auch Tiere, vor allem Vögel, die hierzulande niemand kennt. Aber hauptsächlich sind’s die Wiedergänger, die den Leuten Sorgen machen und von denen geredet wird. Donnie Russert hat einen Freund an der Duke University angerufen, und dieser Kerl hat jemand von ihrer Parapsychologiefakultät angerufen – erstaunlich, dass es so was an einer richtigen Universität gibt, aber das scheint der Fall zu sein –, und die Frau von der Parapsychologiefakultät hat ihm gesagt, wie solche Leute heißen: Wiedergänger. Und wenn sie dann wieder verschwinden – was sie immer tun, nur der eine Bursche drüben in East Conway Village nicht, der ist so gestorben –, heißen sie Fortgänger. Die Dame hat gesagt, dass manche Wissenschaftler, die solche Dinge erforschen – ich glaube, man könnte sie Wissenschaftler nennen, obwohl ich viele Leute kenne, die anderer Meinung wären –, der Ansicht sind, dass Wiedergänger Außerirdische von anderen Planeten sind, die von Raumschiffen abgesetzt und wieder abgeholt werden, während die meisten sie für Zeitreisende oder Besucher von unterschiedlichen Welten halten, die parallel zu unserer existieren.«
»Wie lange geht das schon so?«, fragte Eddie. »Seit wann treten hier Wiedergänger auf?«
»Ach, seit zwei, drei Jahren oder so. Aber in letzter Zeit kommen sie eher häufiger. Ich hab selbst schon ein paar von den Kerlen gesehen – und einmal eine kahlköpfige Frau, die mitten auf der Stirn eine blutende Wunde zu haben schien. Aber das war alles aus einiger Entfernung, ihr beide dagegen sitzt ja aber hier in meinem Boot.«
John beugte sich über knochige Knie hinweg nach vorn, und seine Augen (so blau wie die Rolands) leuchteten. Wasser klatschte hohl an den Bootsrumpf. Eddie verspürte den Drang, noch einmal John Cullums Hand zu ergreifen, um zu sehen, ob wieder etwas passieren würde. Er musste an den Bob-Dylan-Song »Visions of Johanna« denken. Was Eddie wollte, war zwar keine Vision von Johanna, aber der Name war immerhin ähnlich.
»Haja«, fuhr John fort, »ihr Jungs seid in Person da und zum Greifen nah. Und ich bin bereit, euch weiterzuhelfen, wenn ich kann, weil ich nicht das geringste Böse in euch beiden spüre – auch wenn ich noch nie solche Schützen wie euch erlebt hab, das will ich ehrlich sagen –, aber ich möchte eines wissen: Seid ihr Wiedergänger oder nicht?«
Roland und Eddie wechselten abermals einen Blick, dann antwortete Roland. »Ja«, sagte er, »das sind wir wohl.«
»Verreck«, flüsterte John. In seiner heiligen Scheu konnte nicht einmal sein faltiges Gesicht verhindern, dass er jetzt wie ein kleines Kind wirkte. »Wiedergänger! Und woher kommt ihr, dürft ihr mir das verraten?« Er sah zu Eddie hinüber, lachte wie jemand, der zugab, ordentlich hereingelegt worden zu sein, und sagte: »Nicht aus Brooklyn.«
»Aber ich bin aus Brooklyn«, sagte Eddie. Nur war das nicht das Brooklyn der hiesigen Welt gewesen, und das wusste er jetzt. In der Welt, aus der er kam, war ein Kinderbuch mit dem Titel Charlie Tschuff-Tschuff von einer Frau namens Beryl Evans geschrieben worden; in dieser hier stammte es von Claudia y Inez Bachman. Obwohl Beryl Evans echt und Claudia y Inez Bachman so unecht wie ein Dreidollarschein klang, gelangte Eddie mehr und mehr zu der Überzeugung, dass Bachman der richtige Name war. Und weshalb? Weil er Bestandteil dieser Welt war.
»Ich bin wirklich aus Brooklyn. Bloß nicht… na ja… bloß nicht aus demselben Brooklyn.«
John Cullum starrte sie weiter mit großen erstaunten Kinderaugen an. »Und was ist mit den anderen Kerlen? Mit denen, die euch aufgelauert haben? Sind die auch…?«
»Nein«, sagte Roland, »die nicht. Aber jetzt ist keine Zeit mehr dafür, John – nicht jetzt.« Er stand vorsichtig auf, hielt sich an einem Dachsparren fest und stieg, vor Schmerz leicht zusammenzuckend, aus dem Boot. John folgte ihm, und Eddie kletterte als Letzter hinaus. Die beiden anderen Männer mussten ihm helfen. Das gleichmäßige Pochen in der rechten Wade war etwas zurückgegangen, aber das Bein war steif und gefühllos, schwer zu beherrschen.
»Am besten gehen wir zu Eurem Heim«, sagte Roland. »Wir müssen einen bestimmten Mann finden. Den Segen vorausgesetzt,
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