Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
Siento nur bei einem einzigen Mann seines Personals eine Leukotomie vornehmen lassen müssen: bei einem völlig idiotischen Hume-Wachmann namens David Burke, der die Brecher dort unten einmal tatsächlich mit etwas – waren es Erdnussschalen gewesen? – beworfen hatte. Als Burke merkte, dass der Oberaufseher im Ernst eine Leukotomie vornehmen lassen wollte, hatte er um eine zweite Chance gebettelt und hoch und heilig versprochen, nie wieder etwas so Dummes und Herabwürdigendes zu tun. Pimli hatte sich taub gestellt. Er hatte die Gelegenheit gesehen, ein Exempel zu statuieren, das Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte lang abschrecken würde, und sie ergriffen. Noch heute konnte man den jetzt wirklich idiotischen Mr. Burke sehen, wie er die Promenade entlangschlenderte oder zur Linken Grenze hinausspazierte, mit schlaffem Mund und einem halbwegs verwirrten Ausdruck in den Augen – ich weiß fast, wer ich bin, ich erinnere mich fast daran, was ich getan habe, um so zu enden, besagte dieser Blick. Er war ein lebendes Beispiel dafür, was man einfach nicht tat, wenn man sich in Gegenwart arbeitender Brecher befand. Aber es gab keine Vorschrift, die es dem Personal ausdrücklich verbot, sich auf dem Balkon aufzuhalten. Alle taten es von Zeit zu Zeit.
Weil es erfrischend war.
Zum einen machte der Aufenthalt in der Nähe arbeitender Brecher jedes Gespräch überflüssig. Was sie »guter Geist« nannten, setzte ein, sobald man den Saal im zweiten Stock von einer der beiden Seiten – von den beiden Aufzügen aus – betrat, und sowie man die Tür zum Balkon öffnete, fühlte man in seinem Kopf guten Geist aufblühen, der einem alle möglichen Arten von gegenständlicher Wahrnehmung eröffnete. Aldous Huxley, hatte Pimli sich bei mehr als einer Gelegenheit gesagt, hätte dort oben völlig durchgedreht. Manchmal spürte man, dass man sich mit den Füßen in eine Art halbherzigen Schwebezustand über den Boden erhob. Sachen, die man in den Taschen hatte, tendierten dazu, sich zu erheben und in der Luft zu schweben. Ehemals vertrackte Situationen schienen sich in dem Moment aufzulösen, in dem man sich auf sie konzentrierte. Hatte man etwas Nichtiges vergessen, beispielsweise einen Fünfuhrtermin oder den zweiten Vornamen seines Schwagers, war hier der Ort, an dem man sich wieder daran erinnern konnte. Und sogar wenn man merkte, dass man etwas richtig Wichtiges vergessen hatte, war man nie verzweifelt. Die Folken verließen den Balkon mit einem Lächeln auf dem Gesicht, selbst wenn sie in miesester Stimmung heraufgekommen waren (schlechte Laune war ein ausgezeichneter Grund dafür, den Balkon überhaupt erst aufzusuchen). Es war, als stiege von den Brechern dort unten ständig eine Art Glücksgas auf: unsichtbar und selbst mit höchstentwickelter Telemetrie nicht messbar.
Die beiden grüßten zu den vieren auf dem Balkon hinüber, dann traten sie an die breite Brüstung aus dunklem Eichenholz und sahen hinab. Der Raum unter ihnen hätte die weitläufige Bibliothek eines durch üppige Stiftungen finanzierten ehrwürdigen Herrenclubs in London sein können. Sanft brennende Lampen, viele mit echten Tiffanyschirmen, standen auf Beistelltischen oder leuchteten von den Wänden (die natürlich in Eiche getäfelt waren). Der Parkettboden war mit exquisiten Orientteppichen ausgelegt. An einer Wand hing ein Matisse, an einer anderen ein Rembrandt … an einer dritten die Mona Lisa. Die echte im Gegensatz zu der Fälschung, die auf der Fundamentalen Welt im Louvre hing. Vor ihr stand ein Mann, der die Hände auf den Rücken gelegt hatte. Von hier oben sah es so aus, als würde er das Gemälde eingehend studieren – möglicherweise, um das berühmte geheimnisvolle Lächeln zu enträtseln –, aber Pimli wusste es besser. Auch die Männer und Frauen, die Zeitschriften in den Händen hielten, gaben nur zu lesen vor, wäre man nämlich unten bei ihnen gewesen, hätte man wahrgenommen, dass sie ausdruckslos über den oberen Rand ihrer McCall’s und Harper’s hinwegsahen oder knapp seitlich daran vorbeiblickten. Ein Mädchen von elf oder zwölf Jahren in einem wunderhübschen gestreiften Sommerkleid, das in einer Kinderboutique am Rodeo Drive in L. A. leicht sechzehnhundert Dollar hätte kosten können, saß am offenen Kamin vor einem Puppenhaus, wiewohl Pimli wusste, dass es die fein gearbeitete Nachbildung des Damli House überhaupt nicht beachtete.
Dreiunddreißig von ihnen waren dort unten. Insgesamt dreiunddreißig. Um acht Uhr
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