Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
rechten Ferse, gewiss, aber wie viele sonst völlig normale Kinder wurden mit irgendeiner Art Muttermal geboren? War nicht auch ihr Vater einer Familienüberlieferung nach mit roten Händen auf die Welt gekommen? Außerdem würde dieses Muttermal nicht einmal zu sehen sein, außer der Junge war am Strand.
Der Arzt, der sich das Neugeborene noch immer vors Gesicht hielt, sah zu Sayre hinüber. Nun folgte eine kurze Pause, in der Susannah sich leicht Scowthers Pistole hätte aneignen können. Aber sie dachte nicht einmal daran, das zu tun. Sie hatte Jakes telepathisches Rufen ebenso vergessen wie den merkwürdigen Besuch, den Roland und ihr Mann ihr abgestattet hatten. Susannah war so hingerissen wie Jey und Straw und Haber und alle anderen – hingerissen von diesem Augenblick der Ankunft eines Kindes in einer abgenutzten Welt.
Sayre nickte fast unmerklich, und Scowther legte den neugeborenen Mordred, der nicht zu schreien aufhörte (und sich weiter nach etwas umsah, offenbar nach seiner Mutter), in Mias wartende Arme.
Mia drehte ihn sofort um, damit sie ihn ansehen konnte, worauf Susannahs Herz vor Bestürzung und Entsetzen erstarrte. Weil Mia wahnsinnig geworden war. Das leuchtete ihr aus den Augen; es lag in der Art, wie ihr Mund es schaffte, zugleich zu feixen und zu lächeln, während der Sabber – den das Blut ihrer aufgebissenen Zunge rosa färbte und verdickte – ihr auf beiden Seiten übers Kinn lief; und es lag vor allem in ihrem triumphierenden Lachen. Vielleicht würde sie in den kommenden Tagen wieder zur Vernunft kommen, aber …
Die Schlampe wird nie wieder nich normal, sagte Detta nicht ohne Mitgefühl. Dass sie’s geschafft hat und ihren Balg los is, hat ihr den Rest gegeben. Die is fertig, das weißt du so gut wie ich!
»O welch eine Schönheit!«, gurrte Mia. »O sieh deine blauen Augen, deine Haut so weiß wie der Himmel vor dem ersten Schneefall an Voller Erde! Sieh deine Brustwarzen, was für perfekte Beeren sie sind, sieh deinen Pimmel und deine Eier, glatt wie junge Pfirsiche!« Sie sah sich um, starrte erst zu Susannah hinüber – ihr Blick glitt über Susannahs Gesicht hinweg, ohne das geringste Erkennen zu zeigen –, dann zu den anderen. »Seht meinen kleinen Kerl, ihr Unglücklichen, ihr Elenden, meinen Schatz, mein Baby, meinen Jungen!« Mia forderte sie mit lauter Stimme auf, genau herzusehen, lachte mit ihren wahnsinnigen Augen und weinte mit ihrem schiefen Mund. »Seht, wofür ich auf die Unsterblichkeit verzichtet habe! Seht meinen Mordred, seht ihn sehr gut, denn niemals werdet ihr wieder seinesgleichen sehen!«
Laut keuchend bedeckte sie das blutige, starrende Gesicht des Säuglings mit Küssen und verschmierte dabei ihren Mund, bis sie wie eine Betrunkene aussah, die Lippenstift hatte auflegen wollen. Sie küsste lachend das weiche Doppelkinn des pausbäckigen Neugeborenen, seine Brustwarzen, seinen Nabel, die Spitze seines aufgerichteten Glieds; dann – indem sie ihn mit zitternden Armen immer höher hob, während das Kind, dem sie den Namen Mordred geben wollte, in komischem Erstaunen auf sie hinabglotzte – küsste sie seine Knie und zuletzt die winzigen Füßchen. Und Susannah hörte jetzt das erste Saugen: nicht das Neugeborene an der Mutterbrust, sondern Mias Mund an jedem der vollkommen geformten Zehen.
3
Dieses Kind ist das Verderben meines Dinhs, dachte Susannah kalt. Ich könnte mir zumindest Scowthers Pistole schnappen und es erschießen. Das wäre das Werk zweier Sekunden.
Bei ihrem Tempo – der unheimlichen Geschwindigkeit eines Revolvermanns – hätte sie dazu vermutlich nicht länger gebraucht. Aber sie merkte, dass sie außerstande war, sich zu bewegen. Sie hatte sich für diesen Akt des Dramas viele mögliche Abschlüsse vorgestellt, aber niemals Mias Wahnsinn, den niemals, und war nun völlig überrascht. Gleichzeitig war ihr bewusst, dass sie von Glück sagen konnte, dass die Positronics-Verbindung rechtzeitig abgerissen war. Wäre sie das nicht, könnte sie jetzt leicht so wahnsinnig sein wie Mia.
Und die Verbindung könnt wiederkomm, Schwester – willst du nich lieber was unternehmen, solang du kannst?
Aber sie konnte nicht, das war der springende Punkt. Sie war vor Bewunderung starr, stand völlig im Bann dieser Geburt.
»Schluss jetzt!«, knurrte Sayre nun Mia an. »Du sollst ihn nicht abschlecken, sondern füttern! Beeil dich, wenn du ihn behalten willst! Leg ihn an deine Brust an! Oder soll ich eine Amme holen lassen? Es
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