Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
weiter als gottverdammtes Ka bist. Ich werde bis zum Einbruch der Nacht warten, dann schleife ich deinen Körper zum Wasser hinunter. Und du kannst zusehen, wie die Hummer dich verschlingen. Aber vielleicht wirst du dazu in zu großer Eile sein.«
Eddie machte eine Pause. Das Brechen der Wellen und das konstante hohle Heulen des Windes schienen beide sehr laut zu sein.
»Ich denke, ich werde einfach dein Messer nehmen und dir die Kehle durchschneiden.«
»Und die Tür für immer schließen?«
»Du hast selbst gesagt, daß dieser Teil meines Lebens vorbei ist. Und du meinst nicht nur den Stoff. Du meinst New York, Amerika, meine Zeit, alles. Wenn dem so ist, dann möchte ich diesen Teil auch erledigt wissen. Die Landschaft hier ist beschissen, die Gesellschaft noch mehr. Manchmal, Roland, sieht Jimmy Swaggart neben dir beinahe geistig gesund aus.«
»Große Wunder warten auf uns«, sagte Roland. »Große Abenteuer. Mehr als das, es gilt, eine Suche fortzuführen, und es besteht die Möglichkeit, deine Ehre wiederherzustellen. Und noch etwas. Du könntest ein Revolvermann werden. Ich müßte nicht der letzte sein. Es ist in dir, Eddie. Ich sehe es. Ich spüre es.«
Eddie lachte, obwohl ihm die Tränen jetzt die Wangen hinabliefen. »Oh, wunderbar. Wunderbar! Genau das brauche ich. Mein Bruder Henry. Der war ein Revolvermann. In einem Land, das Vietnam hieß. War toll für ihn. Du hättest ihn sehen sollen, wenn er ernsthaft high war, Roland. Er konnte ohne fremde Hilfe nicht einmal den Weg ins verdammte Badezimmer finden. Wenn keine Hilfe da war, saß er einfach da und sah sich Big Time Wrestling an und machte sich in die verdammten Hosen. Es ist großartig, ein Revolvermann zu sein. Das ist mir klar. Mein Bruder war süchtig, und du bist nicht ganz richtig im Hirn.«
»Vielleicht war dein Bruder ein Mensch ohne klare Vorstellung von Ehre.«
»Vielleicht nicht. Wir hatten in den Projects nicht immer eine klare Vorstellung davon, was das war. Das war ein Wort, das man benützte, wenn man beim Jointrauchen erwischt worden war, oder wenn man die Felgen vom T-Bird eines Burschen geklaut hatte und dafür vor Gericht kam.«
Jetzt weinte Eddie heftiger, aber er lachte auch.
»Und deine Freunde? Dieser Bursche, von dem du im Schlaf sprichst, dieser Geck Cuthbert…«
Der Revolvermann zuckte unwillkürlich zusammen. Nicht einmal sein jahrelanges Training konnte dieses Zusammenzucken verhindern.
»Haben sie das alles bekommen, wovon du wie ein gottverdammter Anwerber der Marine sprichst? Abenteuer, Suchen, Ehre?«
»Sie wußten, was Ehre ist, ja«, sagte Roland und dachte an alle verschwundenen anderen.
»Hat es sie weitergebracht als das Revolverschwingen meinen Bruder?«
Der Revolvermann sagte nichts.
»Ich kenne dich«, sagte Eddie. »Ich habe eine Menge von deinesgleichen gesehen. Du bist nichts weiter als ein Narr, der mit einer Flagge in einer und einer Kanone in der anderen Hand ›Vorwärts, Christliche Soldaten‹ singt. Ich will keine Ehre. Ich will nur ein Brathähnchen und einen Schuß. In dieser Reihenfolge. Und daher sage ich dir: Geh durch. Du kannst es. Aber in dem Augenblick, wo du weg bist, werde ich den Rest von dir umbringen.«
Der Revolvermann sagte nichts.
Eddie lächelte verzerrt und wischte sich mit den Handrücken die Tränen von den Wangen. »Weißt du, wie man das bei uns zu Hause nennt?«
»Wie?«
»Ein mexikanisches Unentschieden.«
Sie sahen einander einen Augenblick an, dann blickte Roland unvermittelt in die Tür. Sie hatten beide am Rande mitbekommen – Roland deutlicher als Eddie –, daß ein weiterer Schwenk stattgefunden hatte, diesmal nach links. Hier befand sich eine Auslage funkelnder Juwelen. Vieles befand sich unter schützendem Glas, aber der größte Teil nicht, und daher vermutete der Revolvermann, daß es sich um Tinnef handelte… was Eddie Modeschmuck genannt haben würde. Die dunkelbraunen Hände begutachteten ein paar Stücke in einer beiläufigen Weise, dann kam eine andere Verkäuferin hinzu. Es hatte eine Unterhaltung stattgefunden, die keiner der beiden richtig mitbekommen hatte, und die Herrin (schöne Herrin, dachte Eddie) bat, etwas anderes sehen zu dürfen. Die Verkäuferin entfernte sich, und dann konzentrierte sich Roland ganz unvermittelt ausschließlich auf das Bild.
Die braunen Hände erschienen wieder, aber jetzt hielten sie eine Handtasche. Sie machten sie auf. Und plötzlich schaufelten die Hände Dinge – anscheinend völlig wahllos – in
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