Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
fest, weshalb sein Überfall unmöglich fehlschlagen konnte.
Er stürmte ins Lager mit den schlafenden Menschen hinunter: ein mit krampfhaft geöffnetem Rachen hechelnder schwarzer Albtraum auf sieben Beinen.
10
Irgendwo, tausend Meilen entfernt, hörte Roland ein Bellen, das laut und drängend, wild und wütend war. Sein erschöpfter Verstand versuchte, sich davon abzuwenden, es auszublenden, sich in tieferen Schlaf zurückzuziehen. Dann kam ein grässlicher Schmerzensschrei, der ihn augenblicklich hochfahren ließ. Diese Stimme kannte er, auch wenn sie jetzt verzerrt klang.
»Oy!«, brüllte er und sprang auf. »Oy, wo bist du? Zu mir! Zu …« Er sah ihn, wie er sich in den Fängen der Spinne wand. Im Feuerschein waren die beiden deutlich sichtbar. Hinter ihnen saß Patrick an den Pappelstamm gelehnt und starrte dümmlich durch einen Haarvorhang, der bald wieder fettig sein würde, nun da Susannah fort war. Der Bumbler drehte und wand sich wie wild; die Schaumflocken flogen ihm beim Schnappen nach dem Spinnenleib nur so von seinen Lefzen, während Mordred ihm den Leib verbog, als wollte er Oy das Rückgrat brechen.
Wäre er nicht aus dem hohen Gras gestürmt, dachte Roland, wäre jetzt ich das in Mordreds Fängen.
Oy grub die Zähne tief in eines der Spinnenbeine. Im Feuerschein konnte Roland die geldstückgroßen Grübchen der Kiefermuskeln des Bumblers sehen, der nun noch fester zubiss. Das Ungeheuer kreischte schrill und lockerte den Griff. In diesem Augenblick hätte Oy freikommen können, wenn er denn gewollt hätte. Was er offensichtlich nicht tat. Statt seine vorübergehende Freiheit, bevor Mordred erneut zupacken konnte, dafür zu verwenden, sich fallen zu lassen und zu flüchten, nutzte Oy diesen Augenblick, um seinen langen Hals zu strecken und dort zuzubeißen, wo eines der Spinnenbeine in den aufgeblähten Leib überging. Er verbiss sich tief darin und rief auf diese Weise einen schwärzlich roten Blutschwall hervor, der ihm auf beiden Seiten aus der Schnauze strömte. Im Feuerschein glänzten darin orangerote Lichtpunkte. Mordred kreischte nun noch lauter. Er hatte Oy nicht ins Kalkül gezogen, und dafür bezahlte er jetzt. Im Feuerschein glichen die beiden sich windenden Leiber Gestalten aus einem Albtraum.
Irgendwo in der Nähe trompetete Patrick vor Entsetzen.
Der wertlose Hurensohn ist also doch eingeschlafen, dachte Roland erbittert. Aber wer hatte ihn schließlich als Wache eingeteilt?
»Setz ihn ab, Mordred!«, rief er. »Setz ihn ab, dann lass ich dich für heute leben! Ich schwör’s beim Namen meines Vaters!«
Rote Augen voller Wahnsinn und Bösartigkeit beobachteten ihn über Oys verkrümmten Leib hinweg. Über ihnen, hoch auf der Wölbung des Spinnenrückens, saßen winzige blaue Augen, kaum mehr als stecknadelkopfgroß. Sie starrten den Revolvermann mit einem Hass an, der nur allzu menschlich war.
Meine eigenen Augen, dachte Roland verzweifelt, und dann war ein böses Knacken zu hören. Das war Oys Rückgrat. Trotz seiner tödlichen Verletzung ließ der Bumbler das Gelenk, wo Mordreds Bein in den Körper überging, jedoch nicht aus den Zähnen, obwohl die dort sitzenden stahlharten Borsten viel von seiner Schnauze weggerissen und die scharfen Zähne bloßgelegt hatten, die sich manchmal so liebevoll sanft um Jakes Handgelenk geschlossen und den Jungen zu etwas hingezogen hatten, was Oy ihm hatte zeigen wollen. Ake!, hatte er bei solchen Gelegenheiten gerufen. Ake-Ake!
Roland griff mit der Rechten nach dem Holster … und fand es leer vor. Erst in diesem Augenblick, viele Stunden nach Susannahs Weggang, ging ihm auch auf, dass sie einen seiner Revolver in die andere Welt mitgenommen hatte. Gut, dachte er. Gut. Falls sie tatsächlich im Dunkel gelandet ist, hat sie nun fünf Schuss für die Ungeheuer dort und einen für sich. Gut.
Aber auch dieser Gedanke war nur schwach und fern. Roland zog den anderen Revolver, während Mordred auf den Hinterbeinen kauerte und sein verbliebenes mittleres Bein benutzte, um Oys Körper zu umschlingen und den noch immer knurrenden Bumbler von dem zerbissenen und blutenden Bein wegzureißen. Die Spinne wirbelte den pelzigen kleinen Körper in einer grausigen Spirale hoch. Einen Augenblick lang verdunkelte er dadurch das helle Licht der Alten Mutter. Dann schleuderte sie Oy von sich weg, und Roland hatte flüchtig ein Déjà-vu-Erlebnis, als ihm klar wurde, dass er diese Szene bereits vor langer Zeit einmal in einer Zauberkugel
Weitere Kostenlose Bücher