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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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den Schultern gepackt. Inzwischen passten sich ihre Augen an das Licht an, und sie sah bestürzt und erheitert, dass der junge Mann, der sie fast in den Schmutz gestoßen hätte, einer von Wills Freunden war – Richard Stockworth.
    »Oh, Sai, Verzeihung!«, sagte er und strich über die Ärmel ihres Kleids, als hätte er sie umgestoßen. »Geht es Ihnen gut? Geht es Ihnen wirklich gut?«
    »Wirklich gut«, sagte sie lächelnd. »Bitte entschuldigt Euch nicht.« Sie verspürte die plötzliche, ungestüme Regung, sich auf die Zehenspitzen zu stellen, seinen Mund zu küssen und zu sagen: Gib das Will, und sag ihm, er soll vergessen, was ich gesagt habe! Sag ihm, es warten noch tausend Küsse mehr auf ihn, wo dieser hergekommen ist! Sag ihm, er soll kommen und sich jeden einzelnen holen!
    Stattdessen formte sich bloß ein komisches Bild vor ihren Augen: dieser Richard Stockworth, wie er Will einen Schmatz mitten auf den Mund gab und sagte, dieser sei von Susan Delgado. Sie fing an zu kichern. Sie hielt die Hände vor den Mund, aber es nützte nichts. Sai Stockworth lächelte sie an… zaghaft, vorsichtig. Wahrscheinlich denkt er, dass ich verrückt bin… und das bin ich auch! Das bin ich auch!
    »Guten Tag, Mr. Stockworth«, sagte sie und ging weiter, bevor sie sich noch mehr blamieren konnte.
    »Guten Tag, Susan Delgado«, rief er zurück.
    Sie drehte sich einmal um, als sie fünfzig Schritte entfernt war, aber da war er schon verschwunden. Allerdings nicht in Hookeys Hufschmiede, da war sie sich ganz sicher. Sie fragte sich, was Mr. Stockworth überhaupt an diesem Ende der Stadt zu suchen hatte.
    Eine halbe Stunde später, als sie die neuen Hufeisen aus der Tasche ihres Da’ holte, fand sie es heraus. Ein zusammengelegtes Stück Papier steckte zwischen zweien der Hufeisen, und noch ehe sie es auseinander faltete, wurde ihr klar, dass ihr Zusammenstoß mit Mr. Stockworth kein Zufall gewesen war.
    Sie erkannte Wills Handschrift sofort von der Nachricht neulich im Blumenstrauß wieder:
     
    Susan,
    können wir uns heute oder morgen Abend auf dem Citgo-Gelände treffen? Sehr wichtig. Hat damit zu tun, worüber wir uns schon unterhalten haben. Bitte.
    W.
    P.S. am besten verbrennst du diese Nachricht.
     
    Sie verbrannte sie auf der Stelle, und während sie zusah, wie die Flammen erst emporloderten und dann erloschen, murmelte sie immer wieder das eine Wort, das am meisten Eindruck auf sie gemacht hatte: Bitte.
     
     

3
     
    Sie und Tante Cord aßen schweigend ihr einfaches Abendessen – Brot und Suppe –, und als sie damit fertig waren, ritt Susan mit Felicia zur Schräge hinaus und betrachtete den Sonnenuntergang. Sie würde sich nicht heute Abend mit ihm treffen, nein. Impulsives, gedankenloses Verhalten hatte ihr schon zu viel Kummer eingebracht. Aber morgen?
    Warum Citgo?
    Hat damit zu tun, worüber wir uns schon unterhalten haben.
    Ja, wahrscheinlich. Sie zweifelte nicht an seiner Ehre, auch wenn sie sich inzwischen fragte, ob er und seine Freunde wirklich die waren, für die sie sich ausgaben. Wahrscheinlich wollte er sie wirklich aus einem Grund sehen, der mit seiner Aufgabe zu tun hatte (was allerdings das Ölfeld mit zu vielen Pferden auf der Schräge zu tun haben konnte, wusste sie wirklich nicht), aber inzwischen bestand etwas zwischen ihnen, etwas Süßes und Gefährliches. Vielleicht redeten sie anfangs nur, aber dann würden sie sich küssen… und das Küssen wäre nur der Anfang. Dieses Wissen änderte jedoch nichts an ihren Gefühlen; sie wollte ihn sehen. Musste ihn sehen.
    Und so saß sie auf ihrem neuen Pferd – auch eine Vorauszahlung, die Hart Thorin für ihre Jungfräulichkeit ableistete – und sah mit an, wie die Sonne im Westen aufgedunsen und rot wurde. Sie lauschte dem fernen Heulen der Schwachstelle und war zum ersten Mal in ihren sechzehn Jahren regelrecht von Unentschlossenheit zerrissen. Was sie wollte, stand in krassem Gegensatz zu dem, was sie als ehrenhaft betrachtete, und ihr schwirrte der Kopf von diesem Konflikt. Und ringsum spürte sie die Vorstellung von einem Ka wachsen, so wie Wind um ein baufälliges Haus herum anschwoll. Aber die eigene Ehre aus diesem Grund aufzugeben hieße, es sich zu leicht zu machen, oder nicht? Den Fall der Tugend damit zu entschuldigen, dass man das allmächtige Ka heraufbeschwor. Das war einfältig.
    Susan kam sich so blind vor wie in jenem Moment, als sie aus dem Halbdunkel von Brian Hookeys Stall auf die grelle Straße getreten war. Einmal schrie

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