Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Weile, eine Wange in den Sand gedrückt, und die Kante einer Muschel schnitt ihm so tief in den Kiefer, daß Blut kam. Es gelang ihm, aus dem Wasserschlauch zu trinken, dann kroch er zu der Stelle zurück, wo er erwacht war. Zwanzig Meter hügelaufwärts stand ein Josuabaum; er war verkümmert, würde aber wenigstens etwas Schatten spenden.
Für Roland sahen die zwanzig Meter wie zwanzig Meilen aus.
Dennoch schaffte er mühsam die Reste seiner Habseligkeiten zu jener winzigen Schattenpfütze. Dort lag er mit dem Kopf im Gras und dämmerte bereits Schlaf oder Bewußtlosigkeit oder Tod entgegen. Er sah zum Himmel und versuchte, die Zeit zu schätzen. Nicht Mittag, aber die Größe der Schattenpfütze, in der er lag, verriet ihm, daß der Mittag nahe war. Er hielt noch einen Augenblick durch, drehte den rechten Arm um und führte ihn dicht vor die Augen, um die vielsagenden roten Linien der Infektion anzusehen, eines Giftes, das sich konstant in seinen Leib hinein vorarbeitete.
Seine Handfläche war dunkelrot. Kein gutes Zeichen.
Ich werde linkshändig abtreten, dachte er, wenigstens etwas.
Dann holte ihn die Dunkelheit, und er schlief die nächsten sechzehn Stunden, während das Dröhnen des Westlichen Meeres ihm unablässig in die träumenden Ohren toste.
3
Als der Revolvermann wieder erwachte, war das Meer dunkel, aber im Osten herrschte schwaches Licht am Himmel. Der Morgen war unterwegs. Er richtete sich auf, und eine Woge der Übelkeit übermannte ihn fast.
Er neigte den Kopf und wartete.
Als die Übelkeit vergangen war, betrachtete er seine Hand. Sie hatte tatsächlich eine Infektion – eine deutliche rote Schwellung, die sich über die Handfläche und das Gelenk ausbreitete. Dort hörte sie auf, aber er konnte bereits die Ansätze anderer roter Linien erkennen, die schließlich zu seinem Herzen führen und ihn umbringen würden. Er war heiß und fiebrig.
Ich brauche Medizin, dachte er. Aber hier gibt es keine Medizin.
War er nur um zu sterben so weit gekommen? Er würde nicht sterben. Und sollte er trotz seiner Entschlossenheit sterben, so würde er auf dem Weg zum Turm sterben.
Wie bemerkenswert du bist, Revolvermann, kicherte der Mann in Schwarz in seinem Kopf. Wie unbezähmbar! Wie romantisch mit deiner dummen Besessenheit!
»Scheiß auf dich«, krächzte er und trank. Es war auch nicht mehr viel Wasser übrig. Vor ihm befand sich ein ganzes Meer, doch was nützte ihm das; Wasser, überall Wasser, aber nicht ein Tropfen zu trinken. Egal.
Er legte die Revolvergurte an, band sie fest – das dauerte so lange, daß das erste schwache Licht der Dämmerung sich bereits zum tatsächlichen Prolog des Tages aufgehellt hatte, als er fertig war – und versuchte aufzustehen. Er war erst davon überzeugt, daß es ihm gelingen würde, als er wirklich stand.
Er stützte sich mit der linken Hand an den Josuabaum, während er den nicht ganz leeren Wasserschlauch mit der rechten hochnahm und über die Schulter warf. Dann die Tasche. Als er sich gerade aufrichtete, wusch die Schwäche wieder über ihn hinweg, und er senkte den Kopf, wartete und zwang sich.
Das Schwindelgefühl ging vorbei.
Der Revolvermann machte sich mit den schlingernden, schwankenden Schritten eines Mannes im letzten Stadium noch zu Bewegungen fähiger Trunkenheit auf den Rückweg zum Strand hinunter. Dort stand er und betrachtete das Meer, das so dunkel wie Maulbeerwein war, dann holte er den letzten Rest Dörrfleisch aus der Tasche. Er aß die Hälfte, und diesmal akzeptierten Mund und Magen etwas williger. Er drehte sich um und aß die andere Hälfte, während er zusah, wie die Sonne über den Bergen aufging, wo Jake gestorben war. Anfangs schien sie an den grausamen und baumlosen Zähnen dieser Höhen hängenzubleiben, doch dann erhob sie sich über diese.
Roland hielt das Gesicht der Sonne entgegen, machte die Augen zu und lächelte. Er aß den Rest Dörrfleisch.
Er dachte: Nun gut, jetzt bin ich ein Mann ohne Nahrung und habe zwei Finger und einen Zeh weniger als zuvor; ich bin ein Revolvermann mit Patronen, die vielleicht nicht zünden; ich wurde durch den Biß eines Monsters krank und habe keine Medizin; ich habe noch für einen Tag Wasser, wenn ich Glück habe; und wenn ich mich bis zum Äußersten belaste, kann ich vielleicht noch ein Dutzend Meilen gehen. Ich bin, kurz gesagt, ein Mann am Rande von allem.
Welchen Weg sollte er gehen? Er war von Osten gekommen; nach Westen konnte er ohne die Kräfte eines Heiligen
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