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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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näher.
    Näher.
    Gegen drei Uhr an diesem langen Tag im Delirium, als sein Schatten zu seiner Linken lang geworden war, erreichte er sie schließlich. Er kauerte sich auf die Fersen und betrachtete sie argwöhnisch.
    Sie war zwei Meter hoch und schien aus solidem Eisenholz gemacht zu sein, obschon der nächste Eisenholzbaum siebenhundert Meilen oder mehr von hier entfernt wachsen mußte. Der Türknauf sah aus, als wäre er aus Gold; ein filigranes Muster war darin eingearbeitet, das der Revolvermann schließlich erkannte: Es war das grinsende Gesicht des Pavians.
    Es war kein Schlüsselloch im Knauf, darüber oder darunter.
    Die Tür hatte Angeln, aber sie waren an nichts befestigt – jedenfalls scheint es so, dachte der Revolvermann. Das ist ein Geheimnis, ein höchst wundersames Geheimnis, aber spielt das wirklich eine Rolle? Du stirbst. Dein eigenes Geheimnis – das einzige, das letztendlich im Leben jedes Mannes und jeder Frau eine Rolle spielt – rückt näher.
    Dennoch schien es eine Rolle zu spielen.
    Diese Tür. Diese Tür, wo keine Tür sein sollte. Sie stand einfach hier auf dem grauen Strand, zwanzig Schritte oberhalb der Flutlinie, und schien ebenso ewig wie das Meer selbst zu sein, und jetzt warf sie einen schrägen Schatten ihrer eigenen Stofflichkeit nach Osten, während die Sonne nach Westen zog.
    In einer Höhe von etwa zwei Dritteln waren zwei Worte in der Hochsprache mit schwarzen Buchstaben daraufgeschrieben:
     
    DER GEFANGENE
     
    Ein Dämon hat von ihm Besitz ergriffen. Der Name des Dämons heißt HEROIN.
    Der Revolvermann konnte ein leises Dröhnen hören. Zuerst dachte er, es müßte der Wind oder das Dröhnen seines eigenen fiebrigen Kopfes sein, aber er kam mehr und mehr zu der Überzeugung, daß es sich um den Lärm von Motoren handelte… und der kam von hinter dieser Tür.
    Dann öffne sie. Sie ist nicht verschlossen. Du weißt, daß sie nicht verschlossen ist.
    Statt dessen torkelte er ohne jegliche Anmut auf die Beine und schritt um die Tür herum zur anderen Seite.
    Es gab keine andere Seite.
    Nur den dunkelgrauen Strand, der sich immer weiter erstreckte. Nur die Wellen, die Muscheln, die Flutlinie, die Spuren seines eigenen Näherkommens – Stiefelabdrücke und Löcher, die seine Ellbogen gemacht hatten. Er sah noch einmal hin und riß ein wenig die Augen auf. Die Tür war nicht da, wohl aber ihr Schatten.
    Er wollte die rechte Hand ausstrecken – oh, sie lernte so langsam ihren neuen Platz in dem, was von seinem Leben noch übrig war –, ließ sie sinken und hob statt dessen die linke. Er tastete, suchte nach festem Widerstand.
    Wenn ich sie spüre, klopf ich auf nichts, dachte der Revolvermann. Das wäre eine interessante Tat, bevor ich sterbe!
    Seine Hand ertastete nur Luft hinter der Stelle, wo sich die Tür – auch unsichtbar – hätte befinden sollen.
    Nichts zu klopfen.
    Und der Motorenlärm – falls es das wirklich gewesen war – war verschwunden. Jetzt war nur noch der Wind zu hören, die Wellen und das kranke Dröhnen in seinem Kopf.
    Der Revolvermann schritt langsam wieder auf die andere Seite des Nichtvorhandenen und dachte schon, daß es eine Halluzination gewesen sein mußte, eine…
    Er blieb stehen.
    Eben noch hatte er nach Westen gesehen und einen freien Ausblick auf grauen Strand gehabt, und jetzt fiel sein Blick auf die solide Masse der Tür. Er konnte die Fassung des Knaufs sehen, die ebenfalls aus Gold zu sein schien, und daraus ragte der Schnappriegel wie eine stummelige Metallzunge hervor. Roland bewegte den Kopf zwei Zentimeter nach Norden, und die Tür war verschwunden. Bewegte ihn dorthin zurück, wo er gewesen war, und da war sie wieder. Sie erschien nicht; sie war einfach da.
    Er ging den ganzen Weg herum und stand schwankend vor der Tür.
    Er konnte auf der meerwärts gelegenen Seite um sie herumgehen, aber er war davon überzeugt, daß dasselbe geschehen würde, nur würde er dieses Mal umfallen.
    Ich frage mich, ob ich von der Nichts-Seite durch sie hindurchgehen könnte?
    Oh, es gab jede Menge, worüber man sich wundern konnte, aber die schlichte Wahrheit war die: Hier stand eine Tür einsam auf einem endlosen Strandabschnitt, und es gab nur zwei Möglichkeiten: sie aufzumachen oder zuzulassen.
    Dem Revolvermann wurde mit schwacher Belustigung klar, daß er vielleicht doch nicht so schnell starb, wie er glaubte. Wäre das der Fall, würde er dann solche Angst haben?
    Er streckte den Arm aus und berührte den Türknauf mit der linken Hand.

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