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Der dunkle Wächter

Der dunkle Wächter

Titel: Der dunkle Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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lange zu zögern, gab Ismael ihr eine kräftige Ohrfeige. Irene öffnete die Augen und schrie entsetzt auf. Für einige Sekunden wusste sie nicht, wo sie war. Im Dunkeln von eisigem Wasser umgeben und in den Armen eines Fremden, glaubte sie in ihrem schlimmsten Alptraum aufzuwachen. Dann fiel ihr alles wieder ein. Cravenmoore. Der Engel. Die Grotte. Als Ismael sie umarmte, konnte sie die Tränen nicht zurückhalten. Sie schluchzte wie ein verängstigtes Kind.
    »Lass mich nicht hier sterben«, flüsterte sie.
    Für den Jungen waren ihre Worte wie ein vergifteter Dolchstich.
    »Du wirst nicht hier sterben. Ich verspreche es dir. Das werde ich nicht zulassen. Die Flut wird bald zurückgehen, und vielleicht läuft die Höhle nicht ganz voll… Wir müssen noch ein bisschen durchhalten. Nur noch ein kleines bisschen, dann kommen wir hier raus.«
    Irene nickte und umarmte ihn noch fester. Ismael hätte seinen Worten gerne genauso geglaubt wie seine Begleiterin.
     
    Lazarus Jann stieg langsam die Stufen der Haupttreppe von Cravenmoore hinauf. Die Aura einer fremden Gegenwart schwebte unter dem Lichtkegel der Kuppellaterne. Er bemerkte es am Geruch der Luft, an dem Gewirr aus silbrigen Staubteilchen, das sichtbar wurde, wenn das Licht darauf fiel. Als er den zweiten Stock erreichte, fiel sein Blick auf die Tür am Ende des Korridors, auf der anderen Seite des Vorhangs. Die Tür stand offen. Seine Hände begannen zu zittern.
    »Alexandra?«
    Der kalte Lufthauch bewegte die Vorhänge in dem finsteren Korridor. Eine dunkle Vorahnung überkam ihn. Lazarus schloss die Augen und fasste sich an die Seite. Ein stechender Schmerz durchfuhr seine Brust und breitete sich in den rechten Arm aus wie Feuer, das seine Nerven zu brennendem Staub verglühen ließ.
    »Alexandra?«, stieß er erneut hervor.
    Lazarus rannte zu der Tür und blieb auf der Schwelle stehen, als er die Spuren des Kampfes und die zerschmetterten Fenster sah, durch die ungehindert der kalte Nebel eindringen konnte, der vom Wald herüberwehte. Er ballte die Faust, bis er merkte, wie sich die Fingernägel in die Handfläche bohrten.
    »Verflucht sollst du sein…«
    Nachdem er sich den kalten Schweiß von der Stirn gewischt hatte, trat er an das Bett und schlug mit unendlicher Behutsamkeit die Vorhänge beiseite.
    »Es tut mir leid, mein Liebling…«, sagte er, während er sich auf die Bettkante setzte. »Es tut mir leid…«
    Ein merkwürdiges Geräusch fesselte seine Aufmerksamkeit. Die Zimmertür schwang langsam hin und her. Lazarus stand auf und näherte sich vorsichtig der Tür.
    »Wer ist da?«, fragte er.
    Er erhielt keine Antwort, aber die Tür bewegte sich nicht mehr. Lazarus trat ein paar Schritte in den Flur hinaus und spähte in die Dunkelheit. Als er das Zischen hinter sich hörte, war es schon zu spät. Ein heftiger Schlag ins Genick ließ ihn halb bewusstlos zu Boden gehen. Er spürte, wie er an den Schultern gepackt und durch den Flur geschleift wurde. Für einen flüchtigen Moment nahmen seine Augen eine Gestalt wahr: Es war Christian, der das Hauptportal bewachte. Der Automat wandte ihm das Gesicht zu. Ein grausamer Glanz lag in seinen Augen.
    Dann verlor Lazarus das Bewusstsein.
     
    Als sich die Strömung zurückzog, die sie die ganze Nacht hindurch erbarmungslos ins Innere der Grotte gezogen hatte, wusste Ismael, dass der Morgen nicht mehr weit war. Die unsichtbaren Hände des Meeres ließen ihre Beute allmählich los, so dass es ihm nun möglich war, die bewusstlose Irene in den höher gelegenen Teil der Grotte zu bringen, wo der Wasserspiegel ihnen eine kleine Luftblase zum Atmen übrigließ. Als die Helligkeit draußen, die von dem sandigen Grund zurückgeworfen wurde, einen schwachen Lichtstrahl ins Innere der Höhle schickte und die Flut den Rückzug antrat, stieß Ismael einen Freudenschrei aus, den niemand hören konnte, nicht einmal seine Begleiterin. Der Junge wusste, dass die Höhle selbst ihnen den Weg nach draußen in die Lagune weisen würde, sobald der Wasserspiegel zu sinken begann.
    Bereits seit mehreren Stunden, zwei vielleicht, hielt sich Irene nur noch mit Ismaels Hilfe über Wasser. Dem Mädchen gelang es kaum noch, wach zu bleiben. Ihr Körper zitterte nicht mehr, sondern wiegte sich einfach nur auf den Wellen wie ein lebloser Gegenstand. Während er geduldig abwartete, dass die Ebbe den Eingang freigab, wurde Ismael klar, dass Irene, wäre er nicht dagewesen, schon vor Stunden gestorben wäre.
    Während er sie über Wasser

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