Der Durchblicker: Novelle (German Edition)
trauen, sag ich, und als mir das klar wird, löst es den ersten heftigen Paranoiaanfall des Tages aus. Ich betaste meine Narbe. Hobo sei Dank; wenigstens habe ich was Konkretes, woran ich meine Paranoia festmachen kann.
– Sind die Drogen, Alter. Schlimm, irgendwie, aber weißte, sobald Drogen mitspielen, geht die Freundschaft den Bach runter.
Wir quatschen noch ne Weile, dann kommt Tina zu uns rüber, leicht angetrunken, und schwenkt ne Flasche Diamond White in der Hand.– Ich reiß mir deinen Freund auf, sagt sie sachlich, ehe sie zu Ronnie geht und sich neben ihnsetzt. Als ich das nächste Mal rüberblicke, knutschen sie, oder vielmehr: Tina leckt Ronnies Gesicht ab.
– Ich hätte nix dagegen, wenn mich auch mal eine so aufreißt, Mann, käm jetz nich schlecht, wa, sagt Spud.
– Nee, über Frauen mach ich mir keine Illusionen mehr. In Beziehungen bin ich hoffnungslos, Spud. Ich bin n egoistisches Arschloch. Tatsache ist, dass ich nie behauptet hab, was anderes als n egoistisches Arschloch zu sein. Nimm Olly zum Beispiel, sagte ich vorschlagsweise.
– Die kleine Gothfickmaus, mit der du gekommen bist, ha? fragte er.
– Sie hat n Schutzengel gespielt. Hat mich mit zu sich genommen, nachdem diese Fotze Hobo mich aufgeschlitzt hatte …
– Klingt doch nach ner guten Frau, Alter. Die sollteste dir warmhalten.
– Ja, aber hör dir das an: ein netter Akt der Freundlichkeit, und sie denkt schon, sie könnte mir vorschreiben, wie ich zu leben hab. Nämlich: keine Drogen, such dir ne Arbeit, geh aufs College, kauf dir was zum Anziehen, sprich nicht mit Leuten, die ich nich leiden kann, auch wenn du sie schon dein ganzes Leben kennst … die typische Weiberscheiße, Mann. Wenn das nich übel is.
– Klingt allerdings schwer bescheuert, Partner. Nicht, dass ich dir da n Rat geben könnte. Weißte, die Weiber und ich, Öl und Wasser, wa. Wär schön, wenn wir uns n bisschen besser mischen würden, aber irgendwie wird’s nie so richtig was, wa.
Olly kam wieder zu uns rüber. Sie legt ihren Arm um mich.– Ich will nach Haus, flüsterte sie. Die hielt sich für die Jungfrau von Orleans.– Ich will nach Haus und mit dir ficken.
Bei dem Gedanken bekam ich eine Gänsehaut. Ich hatteübers Wochenende viel zu viele Drogen genommen. Ficken war das Letzte, worauf ich Bock hatte. Das kam mir so sinnlos vor, die totale Zeitverschwendung. Wir empfanden nicht besonders viel füreinander, wir schlugen nur die Zeit tot, bis der richtige Partner auftauchte. Ich ficke nicht gern einfach so; ich mach lieber richtig Liebe. Das heißt, mit irgendwem, den ich liebe. Klar gibt’s Zeiten, wo man sich mal n Sack melken lassen muss, aber nicht grade dann, wenn man randvoll mit Drogen ist. So wie neulich, beim Ficken; das war, als würden zwei Skelette gegeneinanderklappern. Ich dachte bloß: Scheiße, warum machen wir das hier?
Noch mehr als das Ficken störte mich der Gedanke, mich bei ihr zu Hause aufzuhalten. Ich mochte ihre Freunde nicht. Sie waren feindselig und kurz angebunden mir gegenüber, was mich nicht besonders störte, ich genoss es sogar. Was mich mehr anpisste, war diese herablassende Art, mit der sie Olly behandelten. Es waren alles City-Café-Typen: Kellnerinnen, Versicherungsvertreter, Büroangestellte bei der Stadt, Barpersonal et cetera, die Musiker, Schauspieler, Dichter, Tänzer, Schriftsteller, Maler, Dramatiker, Filmemacher oder Models werden wollten und von ihren Alternativkarrieren ganz besessen waren. Sie spielten ihre blöden Tapes, rezitierten ihre Schrottgedichte, spreizten sich wie Pfauen und dozierten mit grenzenlosem Dogmatismus über die Künste, zu denen sie keinen Zugang hatten. Die Sache war, dass Olly sich die herablassende Tour gefallen ließ. Ihre Freunde wollten jemand anderes sein; sie wollte nur so sein wie sie. Ich dachte schon, ich hätte wenig Ambitionen, aber sie konnte nicht einsehen, wie beschränkt ihr eigener Horizont war. Wenn ich darauf zu sprechen kam, wurde ich als eifersüchtig und verbittert abgetan.
Wir fingen einen Streit an, und schließlich verbrachte ich die Nacht bei Roxy. Ich erzählte ihm von ihren Freunden,und er sagte:– Da müsstest du dich ja dann wie zu Hause fühlen, Mann.
Er registrierte meine leicht verkniffene, gekränkte Miene und sagte:– Scheiße, bis du heute ma wieder fickerig. War nur Spaß. Aber ich wusste, das war’s nicht. Oder vielleicht war ich bloß para. Vielleicht auch nicht. Ich war immer noch randvoll mit Drogen und hatte ewig lang
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