Der Eden Effekt
nachdem Skip die Scheinwerfer ausgeschaltet hatte, zog er eine Nachtsichtbrille aus dem Rucksack und befestigte sie an seinem Helm. Als er weiterfuhr, hallte das dumpfe Dröhnen des Einzylindermotors durch die Nacht.
Die Arbeit war nicht schwer. Nur wenige Orte auf der Welt waren technologisch so hoch entwickelt und daher so angreifbar wie Manhattan. In Hongkong und Tokio war es vielleicht ebenso schwierig, die Versorgung der Menschen sicherzustellen und die Infrastruktur instand zu halten.
Anika hob den Blick, als Stephanie mit leichenblasser Miene durch die Tür schritt. Die Frau sah nicht gut aus, und mit Sicherheit presste sie nicht ohne Grund eine Hand auf den Bauch.
»Ich bin fertig.« Anika stand erschöpft auf. Sie fühlte sich, als hätte sie den Nazis soeben geholfen, die Atombombe zu entwickeln. »Bringen Sie mich jetzt zu meiner Wohnung, damit ich duschen kann. Ich fühle mich schmutzig.«
Stephanies Haar war ungewöhnlich zerzaust, und sie hatte rote Augen. Auf ihrer Stirn schimmerten Schweißperlen. Mit unsicheren Schritten ging sie auf den Tisch zu und schaute auf die Karte, die dort lag. Hier und da hafteten gelbe Klebepfeile.
»Erklären Sie mir das bitte«, forderte sie Anika auf. Stephanies Gesicht, das soeben noch leichenblass gewesen war, war nun stark gerötet.
»Sie haben bestimmt Fieber.«
»Die Hälfte der Mitarbeiter ist krank. Lebensmittelvergiftung.« Stephanie starrte Anika mit ungewöhnlich glänzenden Augen an. »Haben Sie etwas gegessen?«
»Ein Sandwich aus der Mikrowelle.«
»Schade!«
»Was?«
»So miserabel, wie ich mich fühle, möchte ich, dass die ganze Welt mit mir leidet.« Sie warf ihr Haar zurück und schluckte vorsichtig, als müsse sie würgen. »Jetzt erklären Sie mir das bitte!«
Anika freute sich über Stephanies Übelkeit. Sie unterdrückte den Drang zu lächeln und beugte sich über die Karte. Unwillkürlich schoss ihr das Wort »Verräterin« durch den Kopf.
Dad, ich hoffe, du bist okay.
»Sie wollen New York in die Knie zwingen? Erste Phase: Schalten Sie den Strom ab.«
»Wie?«
»Zerstören Sie diese Verteilerstationen. Setzen Sie diese elektrischen Hauptleitungen außer Betrieb. Es wird über eine Woche dauern, sie zu reparieren. Inzwischen geraten die New Yorker in Panik. Alle Hochhäuser in der Stadt haben mit enormen Problemen zu kämpfen. New York ist in die Höhe gebaut, und mehr als drei Millionen Bürger sind auf Aufzüge angewiesen. Die Bürogebäude in der Innenstadt können nicht mehr genutzt werden.
Sobald die Wasserpumpen ausfallen, stehen den meisten Gebäuden nur noch die Tanks auf den Dächern als Wasserreserve zur Verfügung. Und die große Mehrheit der Menschen dort hat nicht die geringste Ahnung, wie man sparsam mit diesem Gut umgeht.«
»Also?« Stephanie zuckte mit den Schultern. »Sie können Wasser in Tankwagen herbeischaffen.«
»Sicher, aber wer trägt es in den fünfzigsten Stock hinauf? Ohne Elektrizität funktionieren die Computer nicht, die die Klimaanlagen, Automatiktüren, Ventilatoren, Verkehrsampeln und die Fahrpläne der U-Bahn regeln. Man kann keine Einkäufe mehr tätigen, da die Lesegeräte für Kreditkarten und die Kassen keine Netzverbindung mehr haben. Alle Schlösser, die mit Magnetkarten geöffnet werden, funktionieren nicht mehr. Alle Sicherheitssysteme, außer die mit Notfallbedienung wie zum Beispiel in städtischen Gebäuden, fallen aus. Während die Börsen über USV-Stromversorgung verfügen, sitzen die Händler und Banker in ihren Büros vor schwarzen Monitoren. Kurz gesagt gibt es in der Stadt kein Geschäftsleben mehr. Angefangen bei den Restaurants bis hin zu den renommierten Unternehmen in der Wall Street liegt alles lahm. Es ist das totale wirtschaftliche Chaos.«
»Der Stromausfall kann behoben werden. Es können mobile Trafostationen und Verbindungskabel herbeigeschafft werden.«
»Das wird auch geschehen, aber es dauert seine Zeit. Ehe es so weit ist, führt der Stromausfall dazu, dass die New Yorker die Nerven verlieren. Überlegen Sie mal, Stephanie. Neunzig Prozent der Menschen in Manhattan haben niemals unter Mangel gelitten. Sie wohnen in Betonburgen. Zahlreiche von ihnen so hoch oben, das sie vierzig oder fünfzig Stockwerke in der Dunkelheit zu Fuß bewältigen müssten. Bei der Polizei und beim Rettungsdienst stehen die Telefone nicht mehr still, weil panische Menschen um Hilfe bitten. Die Ampeln funktionieren nicht, und auf den Straßen staut sich der Verkehr. Buchstäblich
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