Der Eden Effekt
Regisseure, die fiktionale Filme drehten, zogen oft Fachleute hinzu, um die Illusion der Realität aufrechtzuerhalten. Wie viele der Filme, die er sich im Fernsehen angesehen hatte, beruhten wirklich auf Tatsachen?
»Verdammt! Warum habe ich nicht besser aufgepasst?«
Weil er ein arroganter Professor und ein überheblicher Mistkerl war, der glaubte, allen anderen intellektuell überlegen zu sein.
Als er die Straße nun so unauffällig wie möglich beobachtete, wurden ihm schlagartig noch ein paar andere Dinge bewusst. Er war Amerikaner in einer deutschen Stadt und sprach kein Wort Deutsch. Er hatte nur noch ein paar Hundert Euro, eine gestohlene Pistole, ein Handy und keinen Ausweis bei sich.
Mark blieb stehen und blinzelte. Er wunderte sich über seine grenzenlose Dummheit und fragte sich, wie dämlich man eigentlich sein konnte.
»Mensch, Mark. Du kannst die anthropologische Theorie erklären, über die Problematik von Claude Levi Strauss’ Hypothesen diskutieren, jedes Argument zerpflücken, das Bronislaw Malinowski oder A. R. Radcliffe-Brown jemals vorgebracht haben. Du kennst die Jagdhypothesen wie deine Westentasche ebenso wie die Feinheiten des Verwandtschaftssystems der Irokesen. Du weißt, was es mit der Traumzeit der Aborigines auf sich hat. Du wirst auch mit dieser Situation fertig werden.«
Verdammt! Geh zurück ins sichere Haus, ehe die Münchener Polizei dich aufgreift.
Stattdessen betrat Mark ein Eckcafé. Er bestellte sich einen Cappuccino, setzte sich ans Fenster und schaute auf die Straße. Während er an seiner Tasse nippte, fühlte er sich plötzlich furchtbar einsam. Wo zum Teufel war Denise? Er schloss die Augen und versuchte sich in ihre Lage zu versetzen. Und Will? Mein Gott, er war erst vierzehn – ein intelligenter, feinfühliger Junge. Und der kleine Jake? Was mochte es für einen Neunjährigen bedeuten, entführt zu werden und Todesängste auszustehen?
»Es tut mir so leid, Denise.« Mark rieb über die kurzen Bartstoppeln an seinem Kinn. Wenn jemand alle, die er kannte, vor den Kopf gestoßen hatte wie zum Teufel konnte er das je wiedergutmachen?
Mark nahm das Handy heraus und starrte darauf. Mit der anderen Hand strich er über die Pistole in seiner Tasche.
Ich habe alles verloren.
Er drückte auf Wiederwahl. Stephanie meldete sich nach dem zweiten Klingeln.
»Hallo, Stephanie!«
»Mark? Cleverer Schachzug, mich in den Wald zu locken.«
»Und es tut mir nicht einmal leid, verstehst du? Was hältst du davon, wenn wir nun über Fakten sprechen?«
»Über welche zum Beispiel?«
»Warum hat Kasperski Denise und meine Söhne entführt?«
»Wir haben sie nicht entführt.«
»Das Problem mit Leuten wie euch ist, dass jemand wie ich niemals weiß, wann ihr lügt.« Mark schaute am Fenster vorbei auf die Wand des Cafés. Dort hing eine Wanderkarte, und ein kleiner roter Stern markierte den Standort des Cafés.
»Wir schätzen, Luccio Garibaldi hat sie.«
»Wer zum Teufel ist Luccio Garibaldi?«
»Weißt du das wirklich nicht?«, fragte Stephanie nach einem Moment des Schweigens. »Aber warum hätte Li es dir auch sagen sollen? Okay. Luccio Garibaldi ist zwar nicht mit Giuseppe Garibaldi verwandt, dem großen italienischen General und Politiker, doch er hat immer so getan, als wäre er es, und hat so vor allem zu Beginn seiner Karriere handfest von der Bekanntheit seines Namensvetters profitiert. Ruhm und Ehre waren Luccio Garibaldi allerdings völlig egal, ihm ging es immer nur um Geld und Macht. Als junger Mann fand Luccio seine Bestimmung im Drogenhandel. Sein wahres Talent lag in der Verteilung, und er baute ein richtiges Imperium auf. Diese Villa in den Dolomiten war ursprünglich eines seiner Verteilzentren. Nachdem die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen hatten, stellte Luccio Verbindungen zu den Führern und den höchsten Warlords her und baute ein Netzwerk auf, um den Opiumhandel auszubauen. In den folgenden Jahren verdiente er nicht nur Millionen, sondern Milliarden, indem er den europäischen Heroinmarkt belieferte. Später fand er noch eine zusätzliche Einnahmequelle durch Prostitution und Menschenhandel.«
»Was will ein Heroindealer mit Denise und meinen Söhnen? Oder auch mit mir?«
»Die Kurzfassung lautet, dass Garibaldis Netzwerk größtenteils zerstört wurde, nachdem die Amerikaner die Macht in Afghanistan übernommen haben. Er brauchte neue Transportwege für seine Ware. Als Michail die Einfuhr von amerikanischem Kriegsmaterial nach
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