Der Eden Effekt
stellte sie die Tasse auf den Tisch und sagte: »Wir können nicht alles haben. Ja, Sie gehen beide von denselben Grundannahmen aus. Aber wenn wir einfach irgendjemanden auswählen würden – sagen wir zum Beispiel Fred Zoah –, wüsste er gar nicht, wo er beginnen sollte. Okay, Sie haben Ihre Grundannahmen. Die Frage ist, ob Sie zu denselben Ergebnissen kommen wie Anika.«
»Entweder funktioniert das Modell oder nicht.«
»Ich bitte Sie, Mark. Sie sind doch ein kluger Mann. Wir sprechen über die Zukunft der Erde. Glauben Sie wirklich, wir erwägen auf Grundlage eines einzigen Modells politische Maßnahmen, die Milliarden Menschen betreffen? Dieses wertvolle Modell, das Sie und Anika entdeckt haben, hat das Potenzial, den Lauf der Weltpolitik zu verändern. Sogar ein Schurke wie Kasperski hat das herausgefunden. Wir sprechen über die Umverteilung von Milliarden von Dollar und politischen Maßnahmen, die ganze Gesellschaften durcheinanderbringen können. Wir müssten sehr dumm sein, wenn wir uns auf ein einziges Modell verlassen würden.«
Mark nickte. Er war sich der Problematik durchaus bewusst. »Sollte ich recht behalten, wird es keine Gewinner geben, wer auch immer mit dem Modell arbeitet.« Er hob die Arme, als würde er eine imaginäre Weltkugel umfassen. »Es brechen zwangsläufig finstere Zeiten an. Stellen Sie es sich so vor wie den Untergang des Römischen Reiches. Barbaren in einer Welt, die man kaum wiedererkennt. Betrachtet man die archäologischen Modelle, wird man froh sein können, wenn Menschen nach dem Zusammenbruch auf einem jungsteinzeitlichen Kulturniveau leben.«
Michelle musterte ihn eindringlich. »Ist das nicht ein bisschen übertrieben?«
»Die Erde ist flach, Michelle. Alles ist durch multinationale und wirtschaftliche Interessen miteinander verbunden. Achtzig Prozent der Steuerberatungsfirmen in den Vereinigten Staaten lassen Steuererklärungen in Indien anfertigen. In dreißig Ländern rund um den Globus werden Teile für die Boeing hergestellt. In China werden achtzig Prozent der amerikanischen Haushaltsgüter produziert, und gleichzeitig fahren chinesische Fahrzeuge mit Kraftstoff aus dem Iran oder aus Saudi-Arabien. In Indonesien entstehen japanische Motorräder mithilfe von Maschinen, die aus Korea stammen und mit amerikanischen Computerprogrammen laufen. Europäische Häuser werden mit russischem Erdgas beheizt, nach dem kanadische Bohranlagen gebohrt haben. Italienische Kleidung, die in Mailand entworfen wurde, wird aus Stoffen, die in Pakistan gewebt wurden, mit japanischen Nähmaschinen in Vietnam genäht. Verstehen Sie?«
Mark nahm knurrend die kleine Tasse in die Hand und nippte an seinem Espresso.
»Versteht Kasperski das alles?«
»Natürlich.« Mark stellte die Tasse wieder ab. »Vielleicht nicht bis ins letzte Detail. Er hat vor, während des Zusammenbruchs ein Vermögen zu machen. Der Mistkerl versteht aber nicht, dass er so viele Milliarden machen kann, wie er will. Es ist egal. Es wird nichts mehr geben, wofür man es ausgeben kann.«
»Wahrscheinlich haben Sie recht. Er versteht es nicht. Sonst hätte er Sie persönlich erschossen.«
»Stephanie scheint zu glauben, dass sie auf dem Firmenkomplex in Oberau in Sicherheit sind. Wie in einer mittelalterlichen Burg oder so ähnlich.«
»Und warum sind sie es nicht?«
Mark schüttelte langsam den Kopf. »Sie sind dort von Computern und Elektrizität abhängig. Das ist es, was die Leute nicht begreifen. Eines Tages wird die Elektrizität ausfallen. Wahrscheinlich, weil ein in Taiwan hergestellter Computerchip durchbrennt. Aber es gibt keinen Ersatz für den Chip, weil die Fabrik in Taiwan wegen Hungerrevolten ihren Betrieb einstellen musste.«
»Glauben Sie wirklich, die Welt ist so verwundbar?«
»Michelle, strengen Sie Ihren hübschen Kopf ein wenig an, und denken Sie scharf nach. Beginnen Sie bei den einfachen Dingen. Der Van, mit dem ich hierhergebracht wurde, verfügt über eine Direkteinspritzung, die von einem Computer gesteuert wird. Was passiert, wenn er ausfällt und es im Geschäft kein Ersatzteil gibt? Hm?« Er beugte sich vor und biss ein Stück von dem Kuchen ab.
»Sie meinen also, es ist hoffnungslos«, sagte sie nachdenklich.
Mark fuchtelte mit der Gabel durch die Luft. »Darum wollte Anika ihr verdammtes Modell nicht testen. Darum habe ich den Job bei ECSITE angenommen, meine Familie verlassen und mich entschlossen, eine Weile auf großem Fuß zu leben. Es hat alles damit zu tun, dass wir
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