Der Eden Effekt
eine so verdammt komplizierte, miteinander vernetzte Wirtschaft aufgebaut haben, die von Hochtechnologie angetrieben wird und eine überbevölkerte Welt mit Just-in-time-Lieferungen versorgt. Wenn man einen der Pfeiler, auf denen dieses System ruht, niederreißt – nur einen einzigen –, bricht das ganze komplexe System in sich zusammen.«
»Wer, glauben Sie, könnte überleben? Industriegiganten wie China?«
Mark schüttelte den Kopf. »Zu viele Menschen und eine unzulängliche Verteilung der Handelsgüter. Die Chinesen haben in ihrer Weisheit den Wasserbüffel durch Traktoren ersetzt. Millionen haben der ländlichen Armut den Rücken gekehrt, um in Fabriken zu arbeiten. Sie ernähren eine Milliarde Menschen, indem sie importierte Nahrungsmittel in Lastkraftwagen transportieren, die mit importiertem Diesel angetrieben werden. Sie ersetzen in rasantem Tempo die Bauernmärkte in den Städten durch Lebensmittelgeschäfte und lagern Lebensmittel in Kühlschränken, die in Korea hergestellt wurden. Erkennen Sie das potenzielle Problem?«
»Und wie lautet die Antwort?«
»Kulturen, die auf einfachem Niveau leben, haben die größte Chance zu überleben. Subsistenzbauern wie zum Beispiel in den Randgebieten Schwarzafrikas, die es gewohnt sind, sich selbst zu versorgen, ihr eigenes Korn zu mahlen und ihre eigenen Hühner zu essen, sind die potenziellen Überlebenden.«
Michelles Miene veränderte sich. »Wenn man einen der Pfeiler niederreißt. Welche Pfeiler? Erklären Sie mir das bitte genauer.«
»Schauen Sie, vor achtzehntausend Jahren, am Ende des Pleistozäns, verliefen die Ozeanströmungen noch anders. Die Saharawüste, die heute aus Sand und Felsen besteht, war eine Graslandschaft mit Antilopen, Flüssen und kleinen Seen. Die Amazonaswälder betrugen nur ein Drittel ihrer heutigen Größe, und dort fiel auch nur die Hälfte der heutigen Niederschlagsmenge. Der indische Monsun war der pakistanische Monsun, und die Winde wehten im Uhrzeigersinn rund um die tibetische Hochebene. Heute ist es genau umgekehrt. Die Winde wehen gegen den Uhrzeigersinn, und der gesamte Regen fällt an den Südhängen der Berge. Solche Systeme funktionieren wie ein Schalter. Sie laufen in die eine oder die andere Richtung. Was passiert, wenn sie im nächsten Jahr umspringen? Einfach so?«
»Warum sollten sie das tun?«
»Weil Paläoklimatologen wie Reid Bryson herausgefunden haben, dass sie es tun. Er nennt es den ›Indus-Effekt‹. Die klimatische Energie schaltet diesen Schalter an und aus. Und aufgrund der Treibhausgase erhält die Erde gegenwärtig mehr Energie als noch vor zehntausend Jahren. Aber wir kommen von der Frage ab: Was passiert?«
»Eine Verschiebung der Regenfälle?«
»Richtig. Afghanistan, Pakistan und die Wüsten im Westen Chinas werden unter katastrophalen Überflutungen leiden, die Felder, Bewässerungssysteme, Straßen und ganze Städte vernichten. In Südost-China, Indochina und Nord-Indien kommt es plötzlich zu einer extremen Dürre. Die Flusspegel sinken um zwei Drittel, worauf fruchtbare Reisfelder austrocknen und der Boden vom Wind abgetragen wird.«
» Falls es so weit kommt«, entgegnete Michelle verärgert.
»Okay«, fuhr Mark freundlich fort. »Vielleicht bekommen wir den Indus-Effekt nicht zu spüren. Vielleicht wird es auch das Auseinanderbrechen des Schelfeises sein, worauf der Meeresspiegel um ein paar Meter steigt. Zwei Milliarden Menschen flüchten über Nacht ins Landesinnere. Dann können wir uns von Bangladesch und allen Küstenstädten wie Miami, New Orleans, Bombay, London, Amsterdam, Hongkong, Brisbane, Tampa und wie sie alle heißen, verabschieden.«
Michelle schüttelte den Kopf. Ihr langes Haar schimmerte im Licht. »Ihre Vorhersagen sind deprimierend.«
»Immer vorausgesetzt, das Modell ist richtig.« Mark zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück. Plötzlich wurde ihm alles klar. Er begann zu lachen. Michelle schaute ihn irritiert an.
»Was ist?«, fragte sie.
»Ich lache über mich selbst. Das Modell ist bedeutungslos, Michelle. Was hat überhaupt noch einen Sinn? Die Liegestühle am Deck der Titanic nach dem Stand der Sonne auszurichten? Das verdammte Klima wird tun, was es tun will. Die Folgen der gesellschaftlichen Triebkräfte sind genauso unausweichlich. Es ist wie bei der Titanic, die trotz der Warnung vor Eisbergen mit voller Kraft vorausfuhr. Wir sind bereits so gut wie tot, also können wir auch weiterhin Champagner schlürfen, Kaviar essen und
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