Der Effekt - Roman
viel roher zugehen in der Welt. Es ist ja schon passiert, nicht wahr? Mein Land hat in der Geschichte sehr viel gelitten. Aber diesmal wird es anders kommen. Diesmal werden unsere Gegner mindestens genauso viel leiden. Ich werde Ihnen also von den Geschehnissen am Mukarajin-Damm erzählen, weil ich möchte, dass Sie der Welt berichten, dass sich die Polen nicht ein weiteres Mal unterbuttern lassen. Sie wissen ja, wie die meisten Menschen die polnische Armee sehen - sie denken an Kavallerieoffiziere, die hoch zu Ross gegen Hitlers Panzer kämpfen wollen. Tapfer, aber dumm. Und zur Sklaverei verdammt. Aber wenn Sie ihnen über die Sache am Mukarajin-Damm berichten, dann werden die Menschen in Zukunft ein anderes Bild von den polnischen Soldaten haben. Sie werden an diesen Damm
denken, den wir in die Luft gejagt haben, und an diese gigantische Welle, die Bagdad unter sich begraben hat. Sie werden sich zweimal überlegen, ob sie uns angreifen, habe ich Recht?«
»Ja«, stimmte Melton zu. »Das werden Sie zweifellos.«
Das war viel mehr, als Melton schreiben wollte. Er interessierte sich vor allem für die Geschichte der polnischen Heimkehrer, über Milosz’ Anruf zu Hause bei seinem Bruder. Und wie man sich als Teil einer zusammengebrochenen Kriegsmaschinerie fühlte. Dieses Interview führte er auch, aber vor allem schrieb er auf, was jeder einzelne Mann aus der Truppe von Milosz geleistet hatte, als es darum ging, den großen Staudamm zu sprengen, dessen Wassermassen Bagdad überschwemmt hatten.
Während er die Erzählungen niederschrieb, passierte etwas Beeindruckendes. Zuhörer fanden sich ein und gruppierten sich um sie herum. Zuerst zwei Soldaten der Kavallerie, aber dann bildete sich ein regelrechtes Auditorium von Männern und Frauen, die gebannt zuhörten. Nach zehn Minuten war Melton sich sicher, dass mindestens zweihundert Personen um sie herumstanden. Das war die Mehrheit der im Hangar anwesenden Soldaten, die nicht schwer verletzt waren. Die Polen erzählten von ihrem Abenteuer, und alle anderen waren mucksmäuschenstill, horchten auf jedes Detail der Geschichte, und manchmal klatschte jemand oder brach in Jubelrufe aus wie bei einem Gottesdienst.
Der Soldat von der 101. Airborne Division stand plötzlich neben ihm, in der Hand hielt er noch immer die Erkennungsmarken, aber seine Augen blickten jetzt wieder klar. »Sir?«
»Ja, bitte?«
»Kann ich … wäre es in Ordnung, wenn ich Ihnen was erzähle …« Er hielt die Erkennungsmarken hoch.
Es mussten wohl zwanzig oder noch mehr Marken sein, manche blutbefleckt.
»Natürlich«, sagte Melton. »Erzählen Sie mir, was passiert ist.«
Ein Marine trat einen Schritt vor. »Brauchen Sie vielleicht ein Aufnahmegerät, Mr. Melton?«
Melton nickte und lächelte: »Sagt einfach Bret zu mir, okay?«
Nachdem der junge Soldat seine Erkennungsmarken den Gefallenen zugeordnet hatte, ging er beruhigt davon. Die Batterien im Aufnahmegerät waren fast leer, aber ein Brite trat nach vorn und überreichte Melton neue. Daraufhin sprach der Reporter mit dem Marine, der ihm den Rekorder gegeben hatte, bis das Band voll war. Er nahm die Kassette heraus und wollte das Gerät seinem Besitzer zurückgeben. Er hatte von seinem Sohn, seiner Tochter und einem Pferd namens Eagle erzählt. Jetzt schüttelte er den Kopf.
»Lass mal, Bret. Behalt es lieber. Du kannst es gut gebrauchen.« Er suchte in seinen Taschen und holte ein paar neue Kassetten hervor. »Ich habe niemanden, für den ich noch etwas aufnehmen könnte.«
Der Soldat stand auf, holte tief Luft und ging aus dem Hangar. An der Tür nahm er einen Helm und ein Gewehr entgegen und ging nach draußen in die gleißende Hitze von Katar.
Melton hatte keine Ahnung, was er mit den Interviews anfangen und wo er sie unterbringen könnte. Aber er nahm weiter alles auf, was gesagt wurde, schrieb mit und ermunterte alle zu sprechen … egal über was.
»Der Mistkerl hatte sich unterm Dach versteckt«, erzählte Private Adrian Bennet. »Er schoss vier Salven in meinen Zug, bevor wir herausfanden, wo er sich verschanzt hatte.«
»Unser Convoy wurde von den anderen abgeschnitten.« Die junge Soldatin schüttelte den Kopf. »Wir mussten verdammt viel Feuer einstecken. Meine Freundin Jessie saß hinten im Geländewagen, als es uns erwischte. Sie hat es nicht geschafft.«
»Es war ein übles Durcheinander«, fügte jemand hinzu. »Das war das 507. Versorgungsbataillon, stimmt’s?«
Sie nickte.
»Die Kugeln
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