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Der Effekt - Roman

Der Effekt - Roman

Titel: Der Effekt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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bekommen hatte.
    Aber welcher Truppe sie auch angehörten, sie hatten alle den gleichen Gesichtsausdruck. Sie starrten ins Nichts, ließen die Schultern hängen, standen gebeugt da. Einige weinten, ob sie nun schlimm verwundet waren oder nicht. Hier und da schaute einer sich Fotos von früher an oder ließ ein Video auf seinem Laptop ablaufen. Einige standen an der Tür und rauchten, weil sie sonst nichts zu tun hatten.
    Ein Soldat der 101. Airborne Division hielt ein paar Erkennungsmarken in der Hand. Er wippte vor und zurück. Wenn einer vorbeikam, hielt er inne und fragte: »Und wem soll ich die jetzt geben? Kann mir das mal jemand sagen?«
    Aber wenn ihm jemand darauf antwortete, schien er es nicht zu hören. Er wippte wieder vor und zurück, bis ein anderer vorbeikam, den er fragen konnte.
    Eine Soldatin stand neben dem Getränkeautomaten, auf dem »Coca-Cola« in arabischen Schriftzeichen stand, flirtete mit einem halb bewusstlosen Mann auf einer Trage. »Wenn ich heimkomme, werde ich mein Baby wiedersehen. Dann ist alles gut. Sie lebt in North Dakota bei ihrer Oma. Ich habe gehört, dass sie es geschafft haben.«
    Oh, Mann, dachte Melton, als er den unsteten Blick der Soldatin auffing. Sie schaute an ihm vorbei in die Vergangenheit, aus der ihr Baby ihr zulächelte.
    Für Melton sahen sie alle besiegt aus. Wie Männer und Frauen, die keinen Sinn mehr in ihrer Existenz fanden. Milosz und seine Gefährten hatten ihre Fassung bewahrt, weil sie etwas hatten, auf das sie sich freuen konnten. Eine Heimat, eine Familie, oder einfach nur einen Fluchtpunkt. Das genügte, um sie bei Laune zu halten. Melton schüttelte den Kopf. Alle Orte, an denen viele Soldaten zusammenkamen, rochen bald schon nach Schweiß, schlechtem
Atem, Zigaretten, Fürzen, dem animalischen Aroma von Gewalt, die kurz vor dem Ausbruch steht. Aber dieses Gemisch hatte hier einen ranzigen und bitteren Beigeschmack. Sogar in Somalia war es nicht so schlimm gewesen. Damals waren nicht alle Rangers besiegt worden, sondern nur die, die im Kampf gescheitert waren, nachdem sie ihr Bestes gegeben hatten.
    Desertieren, dachte Melton. Diese Menschen hier werden desertieren oder einfach zusammenbrechen, wenn ihnen nicht bald jemand ihr Rückgrat zurückgibt.
    Riesige Ventilatoren aus Metall am Ende des Hangars taten nichts weiter, als die Luft im Innern umzuwälzen und den Menschen die kränklichen Ausdünstungen wieder ins Gesicht zu blasen. So sah das also aus, wenn den Menschen jede Hoffnung genommen wurde und keine Erlösung in Sicht war. So sah es aus, wenn Menschen, die es gewohnt waren, um ihr Leben zu kämpfen, plötzlich keinen Sinn mehr darin sahen.
    Milosz ließ ihn eine Weile seinen Gedanken nachhängen. Irgendwann wurde ihm dann der vor sich hinbrütende Amerikaner, der es sich in ihrer Gruppe bequem gemacht hatte, unheimlich, und er fragte:
    »Und, Melton? Haben Sie eine Theorie über all das?«
    Es war eine so abwegige, unerwartete Frage, dass Melton erst einmal nur den Kopf schütteln konnte.
    »Entschuldigung, was haben Sie gesagt?«
    »Eine Theorie über den Effekt. Ich interessiere mich für Theorien. Wissenschaftliche Theorien, nicht für mystischen Unfug. So wie diese dämlichen Moslems mit ihrem Quatsch über Allahs Wille. Ihre Theorie würde mich interessieren, also reden Sie.«
    Melton setzte an, blieb dann aber stumm und schüttelte den Kopf. Er hatte bislang nur einige völlig idiotische Erklärungen gehört und absolut abstruse Theorien, was hinter dieser Katastrophe stecken könnte. Christliche Fanatiker
hatten es als Strafgericht Gottes bezeichnet und unterschieden sich in dieser Hinsicht nicht von den Moslems, die ihren eigenen Rachegott am Werk sahen. Er hatte Gerüchte über irgendwelche Experimente der amerikanischen Regierung gehört, die schiefgelaufen seien. Von geheimnisvollen Laboratorien und Kräften von höllischem Ausmaß war die Rede gewesen, von Außerirdischen, die die Energie der verschwundenen Menschen aufgesaugt hatten, um sich selbst am Leben zu erhalten. All diese Fantastereien waren ihm vollkommen unnütz vorgekommen.
    »Ich weiß es nicht, Feldwebel. Ich weiß ja noch nicht einmal genau, was überhaupt passiert ist oder warum und ob es rückgängig gemacht werden kann. Der einzige sinnvolle Vergleich scheint mir zu sein, uns als Ameisen zu sehen, deren Haufen von einem Blitzschlag verwüstet oder von einem Kind mit einem Brennglas in Brand gesteckt wurde. Wir sind wie die Ameisen. Wie können wir wissen, was

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