Der Effekt - Roman
sorgte, dass die Infrastruktur funktionierte, dann war das nur gerecht, oder? Er warf sich in die breite Brust, der man noch immer das Ringertraining ansah, und verließ die Suite, während er schon darüber nachdachte, mit welchen Machtstrukturen er sich als Nächstes herumschlagen musste. In seiner Aktentasche hatte er Briefe von vier Botschaftern, die sich selbst als Interims-Präsidenten vorschlugen, bis ein neu gewählter Kongress zustande kam. Es war keine schlechte Idee, jemanden, der über diplomatische Erfahrung verfügte, für einen begrenzten Zeitraum auf diesen Posten zu setzen, denn auf Regierungsebene mussten einige grundlegende Entscheidungen getroffen werden. Aber die vier Dummköpfe, die sich hier selbst ins Spiel brachten, waren einen feuchten Dreck wert. Tatsächlich musste man sich in diesen Tagen vor jedem in Acht nehmen, der versuchte, eine Machtposition zu erringen.
Statt dieser Kerle würden sie jemanden einsetzen müssen, der den Job überhaupt nicht wollte. Jemand, der zwar zur Verfügung stand, aber nicht so wie er selbst und die anderen Machtmenschen dachte. Sie brauchten eine ehrliche Haut für diesen Posten. So ehrlich wie George Washington. Oder er musste ein sehr guter Schauspieler sein, oder, da auch eine Frau infrage kam, eine gute Schauspielerin.
Aber wer?
Er würde herausfinden müssen, was jenseits der Inseln los war. Da der Winter vor der Tür stand, würde die Regierung von Alaska alle Hände voll zu tun haben, um das eigene Überleben und das der dortigen Bevölkerung zu sichern. In Seattle und anderen Orten im Staat Washington hatte sich die Situation nach einigen unerfreulichen Aufständen und Straßengefechten beruhigt. Allerdings sickerten die Nachrichten von dort nur ganz langsam durch. Aber vielleicht sollte man dort einmal nachsehen.
Er lief den Hotelflur entlang zu den Aufzügen und dachte über verschiedene Dinge gleichzeitig nach, zum Beispiel auch darüber, dass das Embassy Hotel heute schon viel leerer wirkte als noch vor ein paar Tagen. Fast alle ausländischen Gäste waren abgereist, aber es schienen auch weniger Amerikaner übrig zu sein. Die »Operation Sammlung« hatte noch nicht begonnen, und er fragte sich, wohin sie verschwunden waren, da die meisten von ihnen doch sicherlich vom Festland kamen. Aber das war weniger ein Thema, als das Fehlen der Servicekräfte. Jeden Morgen, wenn er aus seiner Suite kam, hatte er mindestens drei Wagen der Reinigungskräfte gesehen, aber heute stand kein einziger herum. Natürlich musste das gar nichts bedeuten, aber er nahm sich vor, einen der Angestellten danach zu fragen, ob es Probleme bei der Entlohnung gab, ob manche nicht zur Arbeit erschienen waren und ob das alles vielleicht die ersten Anzeichen
eines Verfalls der Ordnung und Organisation waren. Von den drei übrig gebliebenen US-Staaten war Hawaii am wenigsten in der Lage, ohne Hilfe von außen zu überleben. Die Inseln konnten sehr schnell unregierbar werden, auch wenn hier viele bewaffnete Kräfte konzentriert waren. Die zivilen und militärischen Autoritäten waren sich klar darüber, dass es schnell zu Hunger und damit zum Verfall der sozialen Ordnung kommen konnte. Alle hatten mitbekommen, was in Europa passierte, und keiner war besonders erpicht darauf, das selbst zu erleben.
Er betrat die leere Aufzugkabine und drückte auf den Knopf, um ins Erdgeschoss zu gelangen. Der Lift hielt nur einmal auf dem Weg nach unten an. Ein deutsches Paar stieg mit seinem Gepäck ein.
»Hallo«, begrüßte er sie. »Fahren Sie nach Hause?«
»Nein«, sagte der Mann in perfektem Englisch. »Wir haben Verwandte in Australien, die wir besuchen wollen. Winzer im Barossa Valley. Kennen Sie das?«
»Nein. Ich trinke nicht so viel Wein.«
Die Deutschen nickten, als hätte er etwas Bedeutendes von sich gegeben.
»Und, denken Sie daran, bald nach Hause zurückzukehren?«, fragte Culver, als das Schweigen peinlich zu werden drohte.
»Nein«, sagte der Mann, als sie das Erdgeschoss erreichten. Er senkte den Kopf und sagte: »Es tut uns sehr leid, was mit Ihrem Land passiert ist.« Dann griffen sie nach ihren Koffern und verließen den Aufzug.
Die Hotellobby, die normalerweise recht belebt war um diese Zeit, wenn neue Gäste kamen, alte gingen und Konferenzteilnehmer sich zu ihren Tagungsräumen begaben, wirkte leer. Außer den Deutschen und einem halben Dutzend Crewmitgliedern einer asiatischen Fluggesellschaft war niemand da. Ein paar Touristen in nassen Badesachen kamen
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