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Der Effekt - Roman

Der Effekt - Roman

Titel: Der Effekt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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herein. Sie grinsten vor sich hin und vermieden
den Blickkontakt wie Menschen, die wussten, dass sie gerade willentlich den Abgrund ignorierten, der sich vor ihnen und allen anderen auftat. Culver hatte sich bereits an diesen Gesichtsausdruck gewöhnt. Er schaute sich um und sah, dass sein Fahrer schon draußen auf ihn wartete und sich eine Zigarette genehmigte. Er selbst hatte das Rauchen vor zwanzig Jahren aufgegeben, nachdem er die Firma British American Tobacco erfolgreich gegen die Klage eines Krebspatienten vertreten hatte.
    Sein Fahrer Bobby Kua war ein geborener Hawaiianer und Surfer. Culver schüttelte den Kopf, als er sah, wie heftig der Mann an seiner Marlboro zog, um möglichst viele krebserzeugende Stoffe zu inhalieren.
    »Eins sage ich dir, Bobby, du wärst garantiert ein besserer Surfer, wenn du diese Glimmstängel aufgeben würdest.«
    »Keine Chance, Boss«, grinste Kua. »Ich bin sowieso schon so gut, dass ich nicht mehr besser werden kann.«
    Er inhalierte ein letztes Mal tief, dann drückte er die Kippe aus und warf sie in einen Papierkorb. Culver fragte sich klammheimlich, wie lange es wohl dauern würde, bis der junge Mann seine Kippen aufbewahrte, um die Tabak reste später aufzubereiten.
    Er nahm sich vor, ein paar Stangen Zigaretten zu bunkern. In einer oder zwei Wochen würden die Leute ihre Seele für ein paar von den Dingern verkaufen, da war er sich sicher.
    »Wo soll’s heute hingehen, Boss?«
    »Nach Pearl«, sagte Culver. »Wir werden den ganzen Tag dort sein. Um halb vier geht’s zum Capitol, dort ist eine Konferenz. Dort könntest du dir eventuell eine Stunde freinehmen, falls du das brauchst. Aber ich muss rechtzeitig um sieben wieder hier sein, das hab ich versprochen.«
    »Alles klar«, sagte Bobby und führte ihn zu einem weißen Chevrolet Aveo, der zum Fuhrpark der Stadtverwaltung gehörte. Da das Benzin rationiert worden war, durften
auch für offizielle Anlässe nur die kleinsten und benzinsparendsten Fahrzeuge benutzt werden. Normalen Bürgern wurden nur noch zehn Liter pro Woche zugestanden, und die Ausgabe erfolgte nur zu festgelegten Zeiten. Rationierungen waren für alle Menschen alltäglich geworden, und bewaffnete Posten in den Supermärkten und an den Tankstellen sorgten dafür, dass die Beschränkungen eingehalten wurden. Appelle an Vernunft und die Bitten um Fairness hatten leider nichts gefruchtet, als sich kurz nach dem Großen Verschwinden die Regale der Lebensmittelläden geleert hatten. Es war zu einigen gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen, und manchmal hatte es sogar aus nichtigem Anlass Tote gegeben, zum Beispiel bei einem wüsten Gerangel um die letzten Popcorn-Vorräte eines Supermarkts.
    Culver war froh, dass er sich nicht mit den Problemen der Rationierung herumschlagen musste. Viele Menschen konnten die Folgen der Katastrophe nur schwer ertragen, wenn es darum ging, den eigenen Lebensstil zu ändern. Immerhin war es das erste Mal, dass den Amerikanern vorgeschrieben wurde, wie viele Schokoriegel sie kaufen durften, und dieser Schock war fast so schlimm wie der Verlust ihrer Heimat. Culver hatte die Minibar in seiner Hotelsuite geleert und mit einem Notvorrat an Lebensmitteln gefüllt, nachdem er bemerkt hatte, dass das Speisenangebot auf dem Frühstücksbüffet immer karger wurde. Es wäre ihm lieber gewesen, er könnte Marilyn und die Kinder irgendwo in der Nähe von Pearl Harbor unterbringen, für den Fall, dass alles außer Kontrolle geriet. Aber sie hatten darauf bestanden, im Embassy Hotel zu bleiben. Nun hoffte er, so unentbehrlich zu sein, dass er und seine Familie im Falle eines Aufstands rechtzeitig in Sicherheit gebracht wurden.
    Er setzte sich auf den Rücksitz des Chevy und schnallte sich an. Es war gerade noch genug Platz, um die Papiere
auszubreiten und zu arbeiten, während Bobby ihn durch Honolulu chauffierte. Heute hatten wieder mehr Geschäfte geschlossen als gestern. Tatsächlich wurden kaum noch Läden außer Supermärkten oder Bars geöffnet, und auf den Straßen waren nur noch wenige Menschen unterwegs. Marilyn würde von ihrem Einkaufsbummel sehr wahrscheinlich ohne neues Cocktailkleid zurückkommen. Die meisten Fußgänger waren Soldaten und Polizisten. In den ersten Tagen nach der Katastrophe hatte das noch anders ausgesehen. Da waren große Menschenmassen, zumeist ziellos, unterwegs gewesen, alle waren hin und her gerannt wie die Passagiere an Deck eines sinkenden Schiffes. Nun blieben die Leute zu Hause, weil alles

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