Der Effekt - Roman
saß im Wohnzimmer vor dem Fernseher.
Culver zupfte die Manschetten zurecht und ging rüber in den Wohnbereich der Suite des Embassy Hotels. Dort saß Marilyn, seine dritte und definitiv auch liebste Ehefrau auf dem Sofa, und schaute sich lieber die Nachrichten im Fernsehen an, als die Aussicht auf den Strand von Waikiki und die Mamala Bay zu genießen. Die Giftschwaden waren in diesem Teil der Welt noch nicht angekommen, und alle hofften, dass die Prognosen stimmten, die vorhersagten, dass die schlimmsten Schmutzwolken so weit im Süden gar nicht ankommen würden. Starke Tiefdruckgebiete trieben die verseuchten Luftmassen Richtung Norden. Trotzdem blieb Marilyn auf der dreiteiligen Couch-Kombination mit dem Ananasmuster sitzen und sah fern.
Sie war nicht gerade die Intelligenteste, aber so wunderschön und anschmiegsam und reizend, dass er sie von Tag zu Tag lieber mochte. Mit ihr war das Zusammenleben viel leichter als mit den herben intellektuellen Tussis, die er zweimal aus Versehen geheiratet hatte. (Und wenn ihm etwas an diesem grauenhaften Verschwinden ganz gut gefiel, dann die Tastsache, dass die beiden endlich in den ewigen Jagdgründen verschwunden waren.) Im Vergleich zu Vanda und Louise hatte Marilyn recht einfache, wenn auch teure Bedürfnisse, und da sie ihm im Gegenzug so viel schenkte, fragte er sich, wie die neuen Lebensumstände sich wohl auf ihren Gemütszustand auswirkten. Was ihr an Bildung abging, machte sie wett mit einem ungeheuren Vorrat an Emotionen, Körperlichkeit und spirituellen Fähigkeiten. Sie lebte intensiv und nur im Augenblick wie ein Kind, das fröhlich jauchzend hinter einer Seifenblase herjagt.
Jed hatte noch nie erlebt, dass sie so viel Zeit vor dem Fernseher verbrachte, es sei denn vor dem Modekanal, und das auch nur kurz vor ihrer Abreise nach London und Paris. Während der letzten Woche aber sah sie viel fern, zappte zwischen BBC World, CNN Hongkong und Sky News hin und her und hörte sich alle Krisenmeldungen der regionalen Sender an. Im Augenblick starrte sie gebannt auf ein Interview mit einem britischen Admiral im Ruhestand, der vorschlug, den Tunnel unter dem Ärmelkanal zu sprengen und die Royal Navy loszuschicken, um »Großbritannien vor den Horden aus Europa zu schützen«. Sie hatte ihm kurz einen Blick zugeworfen und war jetzt wieder ganz im Bann des TV-Programms. Jed schüttelte den Kopf und ließ es dabei bewenden.
Seine Kinder waren nirgendwo zu sehen, und dafür war er dankbar. Melanie, die einzige positive Erinnerung an seine erste Ehe, hatte den Verlust ihrer Welt wie einen Tiefschlag erlebt. Sie hatte nicht nach Hawaii mitkommen
wollen, und als ihr klargeworden war, dass ihre Mutter und all ihre Freunde für immer verschwunden waren, geriet sie in einen Teufelskreis aus Schuldgefühlen und blieb zwei Tage lang weinend im Bett. Roger, der drei Jahre jüngere Sohn aus der zweiten Ehe, hatte den schrecklichen Verlust mit stoischer Miene zur Kenntnis genommen, und Jed rechnete jeden Moment damit, dass seine coole Fassade zusammenbrach.
»Hast du Roger irgendwo gesehen?«, fragte er seine Frau.
»Er ist bei Debbie«, sagte sie, ohne ihn anzusehen.
»Debbie?«
»Ein hübsches Mädchen. Sie wohnt eine Etage tiefer. Sie gehört zu diesem Chor aus Iowa.«
Während sie sprach, schien sie wie aus einer Trance aufzuwachen. Sie setzte sich gerade hin und wandte ihre Augen endlich vom Bildschirm ab.
»Ihre Mutter kennst du schon. Das ist die Dame von der Air Force«, sagte sie. »Erinnerst du dich? Gestern beim Frühstück sind ihnen die Muffins und der Toast ausgegangen.«
Er erinnerte sich. Alle Chormädchen hatten wenigstens ein Elternteil bei sich, als Aufsichtsperson, manche waren sogar mit der gesamten Familie angereist, was ihr Schockerlebnis ein wenig abgemildert hatte. Debbies Mutter allerdings, die eine Air-Force-Reservistin war, wurde vor zwei Tagen einberufen und hatte ihre Tochter in der Obhut der Chorleiterin lassen müssen.
»O ja, ich erinnere mich. Debbie ist wirklich ein nettes Ding.«
Er war froh, dass die Kinder Anschluss gefunden hatten. Kinder beschäftigten sich vor allem miteinander, und unter den gegebenen Umständen war das sicherlich das Beste, was sie tun konnten.
Marilyn stand auf und lächelte ihn an. »Ja, und was die Mädchen betrifft, sie werden heute Abend ein Konzert
geben, unten im Restaurant. Sag mal, Jedi, könntest du nicht auch hinkommen? Das wäre wirklich großartig. Du könnest dich ruhig mal ein bisschen sehen
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