Der Effekt - Roman
Geheimdienst war Ritchie sich über den Charakter von Jed Culver vollkommen im Klaren.
Er war ein Organisationsgenie.
Er war genau der Mann, den eine milliardenschwere Firma hinzuzog, wenn ein übles Durcheinander, das ein unfähiger Vorstandsvorsitzender angerichtet hatte, möglichst geräuschlos beseitigt werden sollte. Er war derjenige, der eine schwer zu beschaffende Exportlizenz in einem korrupten Dritte-Welt-Land besorgen konnte, oder eine Baugenehmigung für eine luxuriöse Ferienanlage in einem ökologischen Schutzgebiet in den Tropen. Oder der als scheinbar hoffnungsloser Unterhändler zwischen zwei Krieg führenden Stämmen im Hochland von Neu-Guinea vermitteln würde, um die Gewinnmarge eines Holzimporteurs zu steigern. Und wenn er trotz seines Verhandlungsgeschicks
scheiterte, wusste er auf jeden Fall, wo er die Leute herbekam, die mit etwas raueren Methoden die Interessen einer Ölfirma in Afrika durchsetzten, ohne dabei allzu hohe Kosten zu verursachen.
Jed Culver war der Mann der Stunde.
Darüber hinaus hatte Ritchie auch noch das gute Gefühl, dass dieser Mann auch die großen Probleme ansprach und ehrliche Antworten gab, auch wenn niemand sie hören wollte. Vielleicht ähnelte er in dieser Hinsicht dem alten Joe Kennedy ein wenig. Ritchie, der ein leidenschaftlicher Leser historischer Biografien war, glaubte, eine Ähnlichkeit zwischen Jed Culver und dem legendären Schnapsschmuggler zu erkennen, dem Präsident Roosevelt die Aufsicht über die Börse übertragen hatte - er war der Dieb, dem man vertrauen konnte.
Der Admiral sprach diese Gedanken natürlich niemals aus, schon gar nicht jetzt, als Culver in seinem Büro auf und ab lief und ihm anhand seiner Notizen einen Vortrag hielt, nachdem er sich das Jackett ausgezogen, den Schlips gelockert und die Ärmel hochgekrempelt hatte. War sein Auftreten bloß Show? Wahrscheinlich. Bei einem Mann wie Culver kam es eben auch auf das Erscheinungsbild an. Vor allem aber schien er die zwiespältige Natur des Menschen sehr genau zu durchschauen und wusste, wie man scheinbare Unzulänglichkeiten zum Wohle aller nutzen konnte.
»Die einzige intakte Kommandostruktur, die wir haben«, sagte Culver, »ist Ihre eigene. Aber laut Verfassung ist Ihr Kommando der zivilen Regierung untergeordnet. Und an dieser Stelle, meine Damen und Herren, möchte ich Ihnen kurz die Frage stellen …«
Culver schaute von seinen Notizen auf und grinste die anwesenden Militärs fröhlich an. »Sie haben doch nicht die Absicht, einen Militärputsch durchzuführen, oder?«
Aus dem Mund eines anderen wäre dies eine Provokation und eine Beleidigung gewesen, immerhin saßen hier
Leute, die ihr Leben damit verbracht hatten, die Verfassung zu verteidigen. Aber Culver hatte eine lockere, augenzwinkernde Art und schien unausgesprochen hinzuzufügen: Nein, natürlich habt ihr nicht die Absicht, so etwas zu tun, ihr seid brave treue Soldaten, das weiß ich doch.
Ritchie bemerkte sogar den Anflug eines Lächelns im zerfurchten Gesicht von General Murphy, dem höchstrangigen Militär auf der Insel. Dabei hatte Murphy aus beruflichen Gründen schon seit langem jeden Anflug von sonnigem Gemüt aus seiner Erscheinung verbannt und sich eine versteinerte Miene zugelegt. Aber damit konnte er Culver nicht beeindrucken.
»Tatsache ist«, fuhr Culver fort, »dass wir angesichts der Katastrophe, mit der wir es zu tun haben, dringend wissen müssen, auf welcher legalen Grundlage wir vorgehen. Wie der hochgeschätzte Richter Jackson einmal im Fall Terminiello gegen Chicago ausführte, ist die Verfassung kein Selbstmörderpakt. Wenn wir überleben wollen, brauchen wir eine funktionierende Regierung und zwar schnell. Und da niemand daran interessiert ist, eine Militärdiktatur auf den Trümmern der alten Republik zu errichten, würde ich vorschlagen, dass wir eine Versammlung von politischen Repräsentanten kleinerer und größerer Einheiten, von Polizei und Justiz und vielleicht … nein bestimmt … von Führern religiöser und gesellschaftlicher Gruppen mit größerer Anhängerschaft einberufen. Egal welche Art Regierung wir in dieser alptraumhaften Situation konstituieren, sie sollte aus einem fruchtbaren Boden wachsen und nicht einfach nur eingesetzt werden.«
»Das sind schöne Worte, Mr. Culver«, brummte Murphy. »Ich bin zu Tränen gerührt. Aber wir stecken ganz schön in der Scheiße und müssen uns so schnell wie möglich rausziehen. Am eigenen Schopf, so schnell wie möglich, und dann
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