Der Effekt - Roman
beruhigte sich etwas, als sie den Berg herunter auf die zweispurige Costera de las Palmas gelangten. Hier sprühten Sprinkler noch immer ihr recyceltes Wasser in hohen Bögen auf die leeren, sattgrünen Golfplätze, und die Hotels und Ferienwohnanlagen in Strandnähe und das Zentrum von Acapulco waren noch nicht vom Mob angegriffen worden. Dennoch konnte man überall Anzeichen des Zusammenbruchs sehen. Lange Reihen vollgeladener Autos fuhren die Straßen entlang. Massen von Menschen saßen auf dem Asphalt vor dem Aeropuerto Internacional in der Hoffnung auf einen Flug aus dieser Hölle, aber auf den Rollfeldern war keine einzige Maschine zu sehen. Die
wutentbrannt brüllenden amerikanischen Studenten vor dem Fairmont Hotel konnten nur mit Mühe von den Sicherheitsleuten in Schach gehalten werden.
»Wo kommen die denn alle her?«, fragte Jules, als Shah in sicherer Entfernung des Mobs den Wagen parkte.
»Frühjahrsferien«, erklärte Shah. »Viele Studenten auf Kreuzfahrt. Sehr billige Kreuzfahrten. Sehr hässlich.«
»Na toll«, sagte sie. »Und was wollen die jetzt hier?«
Sie sah einige von Pieraros Muskelmännern, die mit Stöcken und Schlägern auf die Amerikaner losgingen, aber die Studenten schienen darauf vorbereitet zu sein und wehrten sich. Eine Gruppe hatte sich mit Sportgeräten und Schutzkleidung ausgerüstet und schwang Baseballund sogar Kricket-Schläger. Sie operierten als mobile Einsatztruppe, die von einem Kampfplatz zum nächsten wechselten, je nachdem, wo die Sicherheitsleute gerade die Oberhand gewannen.
»Ziemliches Durcheinander, würde ich sagen.«
»Ganz recht, Miss Julianne.«
Shah startete erneut den Motor und reihte sich in den zähflüssigen Verkehr ein, der sich einen Weg durch die Menschenmenge bahnte.
»Halte nicht an«, befahl sie. »Ich versuche, Miguel auf uns aufmerksam zu machen.«
Shah nickte und schaltete in einen niedrigeren Gang. Sie kamen sowieso nicht schneller als im Schritttempo voran, da die Straße und die Gehwege von zahllosen Fußgängern und Fahrzeugen verstopft wurden. Dutzende Autos waren liegen geblieben, nachdem ihnen das Benzin ausgegangen war. Man hatte sie an den Rand geschoben, wo sie nun Hindernisse für den Strom der Flüchtlinge darstellten. Die Menschen aus der Stadt eilten an den amerikanischen Studenten vorbei oder durch ihre Menge hindurch. Die Studenten hatten alle teuer aussehende Rucksäcke und Gepäckstücke bei sich. Viele von ihnen waren betrunken.
Als Jules das Seitenfenster herunterließ, kam ihr ein stechender Geruch nach Schweiß, Alkohol und anderen Ausdünstungen entgegen.
»Das bringt nichts«, sagte sie nach einigen Minuten. »Wir kommen nicht voran. Ich muss zu Fuß weiter. Dreh um und fahr den Wagen runter zum Strand. Der kann doch auf Sand fahren, oder?«
Shah nickte. »Da drüben bei den Hütten werde ich warten. Ich gehe nicht ohne Sie weg.«
Jules überlegte, ob sie die Schrotflinte mitnehmen sollte, entschied sich dann aber für eine Pistole, die sie in einem Schulterhalfter an der Hüfte unter ihrem langen Hemd verstecken konnte. Sie trug Schnürstiefel, Khaki-Shorts und ein weißes Baumwolltop, womit sie in der Gruppe der Jugendlichen nicht besonders auffiel. Sie winkte Shah zum Abschied zu und zwängte sich durch die Menge. Er hatte Recht gehabt. Es waren größtenteils junge Amerikaner, die Ferien gemacht hatten. Wahrscheinlich waren immer ein paar Tausend von ihnen in Acapulco, egal zu welcher Jahreszeit, aber in den Semesterferien wurden es deutlich mehr. Was sie hier draußen vor dem Fairmont Hotel zu suchen hatten, war ihr völlig schleierhaft, aber je weiter sie in die Menge eindrang, umso hässlicher und gewalttätiger ging es zu, vor allem wegen der Muskelmänner, mit denen sie und Shah gestern bereits zu tun gehabt hatten. Sie erkannte Roberto, Pieraros rechte Hand, der in schwarzem Kampfanzug auf einer Mauer stand. Er trug eine verspiegelte Sonnenbrille und einige teuer aussehende Schmuckstücke und signalisierte durch seine Körperhaltung, dass er zu allem bereit war. Er schien sich in seiner Rolle zu gefallen und jagte seine Männer immer auf die jungen Gringos, wenn sie sich zu nahe an das Hotel heranwagten. Seine Leute schienen allerdings weniger Spaß daran zu haben, die betrunkenen, angestachelten Amerikaner zu verprügeln, als er.
Es war wirklich ein Wunder, dass bislang nur Baseballschläger und Ähnliches, aber keine Schusswaffen zum Einsatz gekommen waren. Die Pistolen, die Robertos Männer
Weitere Kostenlose Bücher