Der Effekt - Roman
Acapulco bei Nacht, die schwach strahlende Lichtkuppel am Horizont inmitten der tiefschwarzen Nacht des Meeres - Jules sah es jetzt mit anderen Augen. Es sah für sie weniger künstlich aus und auch unsteter. Das orangefarbene Glimmen schien vor ihren Augen zu flackern und manchmal sogar zu lodern.
»Und wieder geht ein Hochhaus in Flammen auf«, sagte Fifi.
»Scheint so«, stimmte Jules zu.
Sie arbeiteten bei Sternenlicht und im Schein des Mondes, der seit dem Auftreten der Energiewelle eine tiefrote Farbe angenommen hatte. Sämtliche Lichter der Jacht waren ausgeschaltet, eine Vorsichtsmaßnahme gegen mögliche weitere Angriffe, nachdem die neuen, von Fifi und Mr. Lee ausgesuchten Mitglieder der Mannschaft mitgeholfen hatten, die Ausrüstung mit dem Beiboot zum Mutterschiff zu bringen.
Jules war grundsätzlich zufrieden mit ihren Passagieren und der Ladung. Sie war leicht zusammengezuckt, als man ihr Rhino vorgestellt hatte, nicht zuletzt wegen der Wolke von Zigarrenrauch, die ihn umgab wie ein allgegenwärtiger Nebel. Aber schon nach kurzer Zeit hatte sie sich an seine Sprüche und sein großspuriges Getue gewöhnt. Auf diese Weise hatte er jahrelang die Touristen beeindruckt und dabei vergessen, wieder auf normale Umgangsformen zurückzuschalten. An seiner Arbeitsmoral und seinen Fähigkeiten gab es jedenfalls nichts auszusetzen. Er hatte die unzähligen Sensoren und Kontrollsysteme auf der Brücke sofort durchschaut, nachdem alle anderen daran gescheitert waren. Als er mit dem Durchchecken der elektronischen Anlage fertig war, verschwand er, um wenig später mit einigen Säcken Reis und Kartons mit Frischfleisch zurückzukommen. Es war sehr teures Fleisch, was er da in die Kühlschränke stapelte. Merkwürdig war, dass er immer wieder eines der anderen Crewmitglieder anhielt, um auf seinen enormen Bizeps zu deuten, mit dem Kommentar: »Das kriegt man nicht vom Katzenstreicheln.« Was immer er damit meinte, wirklich sehr merkwürdig.
Sie ließ ihn allerdings nicht in den Kühlraum, in dem die gefrorene Leiche von Pete lag. Dieser Raum blieb tabu.
»Ich bin froh, dass Pieraro diese Kerle vermöbelt hat«, sagte Fifi, als sie eine Gasflasche anhob und über die Schulter legte. Jules fing stöhnend einen Sack Kartoffeln auf, den Thapa ihr so lässig zuwarf, als wäre er mit Watte ausgestopft.
»Verdammt«, fluchte sie und bemühte sich, das Gleichgewicht zu halten.
Ein kleiner, ziemlich kräftig aussehender Deutscher stützte sie und grinste sie an: »Über Bord wollen wir aber nicht fallen, was?«
»Nein, danke«, sagte Jules und überlegte, wie er hieß. Die Jacht war inzwischen gefüllt mit zahllosen Fremden, und sie schaffte es kaum, sich alle Namen zu merken, obwohl sie es sich vorgenommen hatte. Es gab furchtbar viel zu tun, und sie hatte das Gefühl, sich um nichts richtig kümmern zu können.
Fifi half ihr aus der Verlegenheit. »Das ist Dietmar. Er ist aus Deutschland, du weißt schon, da, wo die Würste herkommen. Er ist unser Navigator. Vorher hat er auf einem Containerschiff gearbeitet.«
Der Deutsche, der etwas Mitte dreißig sein musste, nickte begeistert und nahm Jules den Kartoffelsack ab. Er hatte mit dem schweren Ding genauso wenig Probleme wie Thapa.
»Okay«, sagte sie. »Mach du mal weiter.«
»He, Boss«, rief eine kratzige Stimme. Das war Rhino. »Wo soll ich Ihre Hexenbesen hinpacken?«
Jules lächelte und nickte Dietmar zu, um ihm zu danken. Sie schaute auf das Bootsdeck hinunter, wo die Gurkhas und die neuen Mannschaftsmitglieder herumwuselten. Mitten unter ihnen stand Rhino mit einer Kiste mexikanischer Armee-Flinten, die Shah irgendwo organisiert hatte.
Es gab immer mehr Dinge auf dieser Jacht, von denen sie nichts wusste.
»Bring sie in den Fitnessraum«, rief sie ihm zu. »Das ist jetzt unsere Waffenkammer. Einer von den Gurkhas kann dir den Weg zeigen.«
»Nicht nötig. Ich geh einfach meinem Horn nach. Hat mich bisher immer zum Ziel geführt«, antwortete er. »Ach, übrigens, wo ist eigentlich dieser Humidor, von dem Captain Fifi mir erzählt hat? Ich hab vier Kisten mit Davidoff Anniversario Nr. 1 in meinem Gepäck, und falls die austrocknen, werdet ihr alle hier erleben, wie bösartig Rhinozerosse werden können.«
»In der Bibliothek, denke ich«, rief sie hinter ihm her, als ein weiterer neuer Mann auf sie zutrat, ein Inder, so wie er aussah. Er lächelte und nickte schüchtern.
»Der Maschinenraum?«, fragte er.
»Folgen Sie Rhino«, sagte sie. »Und dann
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