Der Effekt - Roman
mit seiner Familie abhauen.«
»Na gut«, sagte sie grimmig. »Und was machen wir mit den randalierenden Studenten da draußen?«
»Roberto wird sie ablenken. Er hat ein paar Kleinbusse organisiert. Wenn die vorfahren, werden sie denken, dass es die Fluchtfahrzeuge sind.«
»Will er auch mit uns mit?«
»Nein. Er glaubt, dass er hier ganz gut zurechtkommt. Vor allem möchte er, dass ich gehe. Aber ich habe ihm auch ein bisschen Geld gegeben.«
Jules schloss die Augen. »Wie viel?«
Der Banker mit der silikonverstärkten Freundin meldete sich plötzlich zu Wort. »Es war nicht viel. Können wir jetzt endlich von hier abhauen?«
Jules überlegte scharf, wie er hieß. Roger … Roger … Moorhouse.
»So? Haben Sie diesem paramilitärischen Faschisten Geld in den Rachen geschoben?«, fragte sie ungläubig. »Na toll, das wird sich ja bestimmt lohnen. Hoffentlich hat er nicht Geschmack daran gefunden! Braucht mich hier eigentlich noch jemand? Anscheinend hat hier jeder so seine eigenen Ideen. Vielleicht sollte ich einfach gehen und euch mit euren großartigen Plänen alleinlassen.«
»Hören Sie«, sagte Moorhouse. Er war klein und litt offenbar darunter. Wenn er seiner Freundin direkt gegenüberstand, sah es aus, als müsste er in ihren Silikonbrüsten ersticken. Sein Gesicht war stark gerötet, und er schwitzte. »Wir hatten einen sehr anstrengenden Morgen. Die Leute da draußen haben sich schon vor dem Sonnenaufgang versammelt. Das Hotel wurde schon vor Stunden von den Sicherheitsleuten hermetisch abgeriegelt. Wir mussten in unseren Zimmern bleiben, ohne Klimaanlage, ohne Fernsehen, ohne die leiseste Idee, was passieren würde. Wir mussten einige Schmuckstücke opfern, um diesen Kolumbianer dazu zu bringen, sich für uns einzusetzen. Und nun sollten Sie endlich damit anfangen, Ihr Geld zu verdienen und uns aus Acapulco rausbringen.«
Jules hätte ihm am liebsten einen Schlag ins Gesicht verpasst, aber stattdessen nickte sie nur schweigend.
»Also gut. Miguel? Kann ich mal unter vier Augen mit Ihnen sprechen? Zwei Minuten. Haben wir noch zwei Minuten Zeit?«
Der Lärm von der Straße wurde lauter, aber es klang noch nicht dramatisch. Der Vaquero gab seiner Frau einen beruhigenden Klaps auf die Schulter und strich seinem Jüngsten, einem kleinen Jungen, der leise vor sich hinschluchzte,
übers Haar. Er beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr, dann gab er ihm einen Kuss auf die Stirn. Das Kind beruhigte sich, und er folgt Jules auf die andere Seite der Terrasse.
»Diese ganze Sippe, die Sie mitgebracht haben … haben Sie an den Proviant und den Raum für die Unterbringung gedacht? Ich jedenfalls nicht. Wir hatten eine Abmachung. Ihre Frau und Ihre Kinder. Ich hab nicht zugestimmt, dass wir Ihre gesamte Verwandtschaft mitnehmen.«
Pieraro sah niedergeschlagen aus. Er sprach stockend. »Wenn Sie sie nicht mitnehmen, dann geht es eben nicht. Ich werde es ihnen erklären.«
Der Mann fühlte sich so offensichtlich unwohl, war derart erschüttert, dass Jules ihm nicht ins Gesicht sehen konnte. Sie tat so, als würde sie das Hotelgrundstück nach verdächtigen Bewegungen absuchen. Leider stand seine Familie genau in ihrem Blickfeld. Sie sahen völlig verloren aus, schienen die am meisten gebeutelten Gestalten zu sein, die sie seit langem gesehen hatte. Der Mob vor dem Hotel bestand aus jungen, weißen Mittelstandskids, unter die sich arrivierte junge Mexikaner gemischt hatten. Die hatten auch Angst, aber sie waren gut genährt und wussten sich zu wehren. Pieraros Angehörige sahen aus, als würden sie sofort umdrehen und sich ihrem Schicksal ergeben, wenn sie sie wegschickte.
Jules warf einen kurzen Blick auf ihre zahlenden Fahrgäste. Sie schienen völlig verblüfft zu sein, hatten aber eigentlich kein Recht, die Anwesenheit der Mexikaner anzuzweifeln. Miguel hatte sich gestern als energischer Mann erwiesen. Vielleicht hatte er auf die Mitreisenden genug Eindruck gemacht, dass sie ihm zugestanden, seine ganze Familie mitzunehmen. Sie wussten ja, wie es war, mit Privilegien zu leben.
Der Lärm auf der Straße wurde heftiger und kam jetzt von allen Seiten des Grundstücks, in dessen Mitte das pyramidenförmige
Hauptgebäude wie eine riesige aztekische Pyramide stand. Jules sah zahlreiche Hotelgäste, die sich vor dem Lärm auf ihre Balkone geflüchtet hatten. Viele von ihnen deuteten auf ihre kleine Gruppe. Es wurde Zeit zu verschwinden.
»Hören Sie«, sagte sie. »So geht das
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