Der Effekt - Roman
die in der Nähe befindlichen Personen davon ab, sich Illusionen über eine Mitfahrgelegenheit hinzugeben. Trotzdem hatte Jules alle Hände voll zu tun, das Boot aus der Bucht zu steuern, weil auch alle anderen auf das offene Meer zuhielten. Wohin die wollten, war ihr ein Rätsel. Die kleineren Flitzer und Motorboote und die Schlauchboote,
die zu Tausenden unterwegs waren, würden weiter draußen zweifellos kentern. Außerdem hatte Mr. Lee ihnen von der Jacht herübergefunkt, dass ein Sturmgebiet weiter draußen auf dem Pazifik vier Meter hohe Wellen aufgeworfen hatte. In weniger als einer halben Stunde würden sie eine Menge seekranker Passagiere haben. Aber wenigstens würden sie überleben.
Jules schüttelte den Kopf, als sie das Steuer herumreißen musste, um die Kollision mit einer Müllbarkasse zu verhindern, die sich kaum über Wasser halten konnte, weil sie mit sieben- bis achthundert Passagieren völlig überladen war. Die Leute saßen und standen auf Bergen von Müll und Schrott, die sie so schnell wie möglich ins Meer zu werfen versuchten. Die Bugwelle, die Jules erzeugt hatte, brachte den Kahn so arg ins Schwanken, dass ein Dutzend Männer und Frauen über Bord gingen. Sie gab Gas und ignorierte die hilflos im Wasser paddelnden Menschen. Es würden nicht die Einzigen sein, die heute ertranken.
Ein schrilles Durcheinander von Schiffssirenen, Hörnern und Hupen überlagerte das Geschrei der Menschen auf den Booten und die Hilferufe der ins Wasser Gefallenen. Je weiter sie in die Bucht hinauskamen, umso schlimmer wurde es. Leichen trieben zwischen den Wellen, einige in der Nähe von gekenterten Booten, andere waren ganz offensichtlich erschossen worden. Als sie sich einer Gruppe von Surfern näherte, drosselte sie die Geschwindigkeit, um sie vorbeipaddeln zu lassen. Die Surfer grüßten mit ihren Riemen und paddelten dann weiter.
»Wie sind die denn so weit rausgekommen?«, murmelte sie vor sich hin.
Fifi trat neben sie und brachte zwei eisgekühlte Coronas. Sie schaute den Surfern eine Weile zu, dann zuckte sie mit den Schultern.
»Zum Surfen ist es hier sehr eng geworden. Aber vielleicht sind sie das ja gewohnt. Willst du ein Bier?«
»Soll das ein Scherz sein … na, egal. Machst du mir die Flasche bitte auf?«
Fifi tat es und reichte Jules eine Flasche, die sie ansetzte und die Hälfte der kühlen Flüssigkeit in einem Schluck runterstürzte. Es war genau das, was sie jetzt brauchte. Sie konnte sich nicht erinnern, ein Bier jemals so sehr genossen zu haben. Es war fast schon obszön.
»Du hättest ruhig warten können«, sagte Fifi. »Ich hab noch ein paar Limonen aufgeschnitten.«
»Nur Schwuchteln trinken ihr Bier mit Obst, Herzchen. Wie sieht’s denn unter Deck aus?«
Fifi trank ihr Bier aus und warf die leere Flasche über Bord, bevor sie antwortete. Die Flasche fiel auf das Vorschiff einer Fähre. Der Kapitän hob die geballte Faust und schrie ihnen einige Beleidigungen zu. Fifi zeigte ihm den Mittelfinger.
»Miguel hat die Mariachi-Band untergebracht. Sie sind ganz ruhig. Kein Problem. Aber diese bescheuerte Reichentussi und ihr Bruder …«
»Phoebe und Jason?«
»Genau, die. Sie streiten sich schon mit dem Banker und seiner Silikontante, wer die größte Kabine bekommt.«
Jules kniff einen Moment lang die Augen zu. Aber es war gefährlich, sie länger als ein paar Sekunden zu schließen.
»So lange sie da unten bleiben, ist es mir scheißegal.«
Von steuerbord her ertönte lautes Hupen. Ein Containerschiff hatte zahlreiche Leinen ins Wasser geworfen, um die ins Wasser Gefallenen einzusammeln. Ein anderes großes Schiff, ein Tanker, fuhr direkt darauf zu. Jules fragte sich, was das sollte, bis sie bemerkte, dass auf der Brücke des Tankers ein Feuergefecht im Gang war.
»Verdammt, Julesy«, sagte Fifi. »Der Tanker ist führerlos. Sieh bloß zu, dass wir hier wegkommen. Das wird bestimmt nicht witzig.«
Das musste sie ihrer Freundin nicht zweimal sagen. Als Shah die Treppe zum Cockpit heraufkam, um sie vor der nahenden Katastrophe zu warnen, schaltete sie schon das Mikrofon ein, um eine Durchsage zu machen.
»Alle mal herhören. Geht nach unten und haltet euch gut fest. Ich muss jetzt ein paar riskante Manöver durchführen und einen ganzen Zahn zulegen.«
Ein weiteres Warnsignal von der Sirene des Containerschiffs dröhnte ihnen entgegen. Alle Boote in der Nähe, die dazu in der Lage waren, gaben Gas und warfen sich mit erhobenem Bug in die schäumenden Wellen.
»Haben
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