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Der Effekt - Roman

Der Effekt - Roman

Titel: Der Effekt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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bestem Oxford-Englisch. Die Stimme gehörte einem gut aussehenden und sorgfältig gekleideten jungen Mann mit südasiatischen Gesichtszügen, der sich auf einen Stuhl gestellt hatte, um den Bildschirm besser betrachten zu können. Melton kannte ihn. Er arbeitete als Producer für die BBC.

    »Er sagt, dass Saddam vor vierzig Minuten zu einer Menschenmenge vor seinem Palast gesprochen hat«, rief der Mann aus.
    Der Bericht zeigte einen strahlenden Diktator, der nach Meltons Meinung aussah wie eine Comicfigur, die sich vor lauter Freude jeden Moment überschlagen konnte. Er trug seine grüne Uniform und ein schwarzes Barett dazu und feuerte sechs Schüsse aus seinem Revolver in die Luft, während die hinter ihm stehenden Generäle grinsend dabei zusahen und eine zweifellos handverlesene Menschenmenge ihm begeistert zujubelte. Hussein begann mit seiner Rede, und ein arabischer Kommentator schaltete sich ein, um den Inhalt seiner Rede zusammenzufassen. Der englische Producer übersetzte, und die anwesenden Journalisten schwiegen betreten.
    »Er sagt, dass Allah, der Allmächtige, die Kreuzzügler hinweggefegt hat und sie im Herzen ihrer Burg vernichtet hat … dass er sie vom Erdboden gewischt hat, den sie durch ihre Anwesenheit geschändet haben. Er fordert General Franks auf, aus seinem Rattenloch zu kommen, um sich ihm im Kampf zu stellen. Er ruft alle Völker der arabischen Welt auf, sich mit ihm gegen die Invasoren zu erheben … und gegen ihre Schoßhunde in Riad, Katar und Kuwait … und er verspricht, dass er eine Koalition der Fedajin anführen wird, um die Ungläubigen und Abtrünnigen aus dem Heiligen Land zu vertreiben.«
    Der irakische Premier gab noch einige scharfe Töne von sich, bevor er die Arme ausbreitete und anschließend im Palast verschwand. Wahrscheinlich wollte er sich schleunigst in einem Bunker in Sicherheit bringen, bevor ein US-Helikopter ihn aufs Korn nahm, dachte Melton. Er warf Al-Mirsaad einen Blick zu, und der Jordanier nickte zustimmend, um zu bestätigen, dass der BBC-Mann richtig übersetzt hatte. Wenige Sekunden später wurde die Kantine von einem noch lauteren Stimmengewirr als vorher
erfüllt. Melton drehte sich wieder um und schüttelte sich, als wollte er sich von einer schweren Last auf den Schultern befreien.
    Er hatte keine Familie mehr in den Staaten. Er war ein Einzelkind gewesen, und seine Eltern, die ihn erst spät bekommen hatten, waren bereits tot. Zum ersten Mal in seinem langen, einsamen Leben war er froh darüber, ganz allein dazustehen. Seine Arbeit erlaubte ihm nicht, eine feste Beziehung einzugehen. Auch wenn es nie ein Problem für ihn gewesen war, Frauen kennenzulernen, hatten diese Beziehungen nie länger als einige Wochen gedauert. Nun war er dankbar dafür, auch wenn es ihm irgendwie pervers vorkam. Wie mussten sich die armen Kerle um ihn herum fühlen, die Familie zu Hause hatten. Er ließ kurz seinen Blick durch den Raum schweifen und bemerkte, dass diejenigen, die am lautesten schrien, auch die waren, die am meisten angespannt wirkten.
    »Was wirst du nun tun, Bret?«, fragte Al-Mirsaad.
    Er wollte schon seine Standard-Antwort geben, die in solchen Fällen immer lautete: »Meinen Job.« Im gleichen Moment aber wurde ihm klar, dass es eine lächerliche Antwort wäre. Hatte er denn überhaupt noch einen Job? Sein Lohn und seine Reisebestätigungen wurden ihm automatisch übersandt. Würden sie jetzt überhaupt noch durchkommen? Er hatte keine Ahnung.
    »Ich weiß nicht«, sagte er ehrlich und sprach lauter, damit seine Stimme den Lärm übertönte. »Und was ist mit dir?«
    Al-Mirsaad schien sich beinahe zu schämen.
    »Ich habe einen Einsatz in Palästina«, sagte er. »Dort feiern sie, tanzen in den Straßen. Es ist ein einziges großes Fest. Aber bald wird es dort Kämpfe geben, meinst du nicht?«
    »Kämpfe?«, brummte Melton, während er über den Verlust seiner Welt nachdachte und sich fragte, ob wohl irgendwelche Bruchstücke davon übrig blieben. »Die wird es wohl geben.«

06

Krankenhaus Pitié-Salpêtrière, Paris
    Ein gequält dreinblickender Mann in weißem Kittel über einem dunklen Anzug tauchte in der Tür auf und schob sich an Maggie vorbei. Sie war derart schockiert von den Nachrichten im Fernsehen, dass sie ihn kaum wahrnahm. Der Arzt bemühte sich so gut es ging, alle zu ignorieren, was ihm sogar bei Caitlin gut gelang, während er sie befragte. Auf dem Namensschild an seinem Kittel stand der Name Colbert.
    »Haben Sie Schmerzen? Fühlen

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