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Der Effekt - Roman

Der Effekt - Roman

Titel: Der Effekt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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allmählich und setzten sich wieder auf ihre Stühle wie verschämte Schulkinder. Als wollte er ihnen klarmachen, wer hier am Drücker war, ließ der Oberst seine Augen kalt und mechanisch über die Anwesenden gleiten.
    Melton nahm seinen Kugelschreiber heraus, um sich Notizen zu machen. Sein Sony-Recorder funktionierte bestens, aber genau deshalb durfte man diesen Dingern nicht trauen.
    »Meine Damen und Herren, ich bin Colonel Yost, und ich werde die heutige Konferenz leiten in Vertretung der Generäle Franks und Wall und Brigadier McNairn. Sie sind zurzeit aufgrund bestimmter Entwicklungen unabkömmlich, werden aber so bald wie möglich für die Beantwortung von Fragen zur Verfügung stehen.«
    Ein italienischer Fernsehreporter, der direkt vor Melton saß, sprang von seinem Platz auf und rief: »Wann?«
    Yost schaute ihn durchdringend an und wartete drei Sekunden, bevor er antwortete: »So. Bald. Wie. Möglich.«

    Er ließ einen weiteren eiskalten Blick über die Anwesenden schweifen und brachte damit alle zur Räson, die vorhatten, ihn noch einmal zu unterbrechen.
    »Wie Ihnen bekannt ist«, begann Yost seine Erklärung, »wurden unsere Kommunikationsverbindungen nach Nordamerika unterbrochen, nicht nur die über CENTCOM, sondern grundsätzlich alle Verbindungen, egal ob es sich um militärische oder zivile Kanäle handelt. Leider ist es mir im Augenblick nicht möglich, Ihre verständlichen Fragen nach dem Warum zu beantworten, und an Spekulationen möchte ich mich nicht beteiligen. CENTCOM bemüht sich, den unterbrochenen Kontakt so schnell wie möglich wiederherzustellen. Wir haben bereits Verbindungen in den pazifischen Raum, nach Europa und - ich betone - Teilen des nördlichen Kommandos aufnehmen können, kurz NORTHCOM genannt. Für alle, die es nicht wissen, hier die Information, dass es sich bei NORTHCOM um das einheitliche Kommando handelt, das für Operationen in den Vereinigten Staaten, Mexiko, Kanada und der nördlichen Karibik zuständig ist.«
    Melton machte sich nicht die Mühe, diese Erklärung aufzuschreiben. Er kannte alle Kommandoebenen der amerikanischen Streitkräfte, denn er hatte in jeder von ihnen einmal gearbeitet. Aber er schrieb auf, dass Yost erklärt hatte, man habe nicht etwa den Kontakt zur Zentrale von NORTHCOM aufgenommen, sondern nur zu Teilen der Organisation. Das konnte bedeuten, dass sie mit einer großen Institution wie Fort Lewis in der Nähe von Seattle verbunden waren, vielleicht aber auch nur mit dem Telefonapparat eines Wachpostens irgendwo außerhalb von Juneau oder Guantánamo.
    »Haben Sie die Fotos gesehen, Oberst? Die französischen Satellitenfotos? Von den amerikanischen Städten? Können Sie uns erklären, was dort passiert ist?«

    Melton erkannte die Stimme von Sayad Al-Mirsaad, dem Korrespondenten von Al-Dschasira, der ständig in Gefahr war, der Militärbasis verwiesen zu werden. Yost starrte ihn genauso roboterhaft an wie den Italiener, aber Melton wusste, dass sein Kollege aus Jordanien nicht so leicht zum Schweigen zu bringen war. Al-Mirsaad blieb stehen, eine Hand in die Hüfte gestemmt, als wollte er den Oberst zu einem Faustkampf auffordern.
    »Sie sind alle verschwunden, Oberst. Allesamt weggefegt in einem Handstreich Gottes zweifellos. Was sonst könnte dahinterstecken?«
    Yost beeilte sich mit seiner Antwort, bevor das aufkommende Stimmengewirr zu laut wurde.
    »Es könnte alles Mögliche sein, Mr. Al-Mirsaad. Sie sind ja nicht vor Ort. Sie haben überhaupt noch nichts davon gesehen. Sie wissen doch nur, dass es momentan nicht möglich ist, dorthin zu telefonieren und dass jemand teure Bilder verkauft, die für mich wie am Computer gebastelte Videospiel-Szenarien aussehen. An Ihrer Stelle würde ich mir einen Roman von H.G. Wells vornehmen, anstatt Panikmache zu betreiben, Sir.«
    Melton grinste vor sich hin, während er sich Notizen in Kurzschrift machte. Dieser Punkt ging an Yost, auch wenn die Anspielung auf den berühmten Science-Fiction-Klassiker dem Jordanier wie auch den meisten anderen ausländischen Journalisten wahrscheinlich überhaupt nichts sagte. Was ihn selbst betraf, so war er sich nicht zu schade für derartige Werke der Trivialliteratur. So etwas las er gern, wenn er in zehntausend Meter Höhe in der Businessclass die Beine ausstreckte. Aber er lebte und arbeitete in der wirklichen Welt, genau wie die Männer und Frauen, über die er schrieb. Auch wenn er sich als Korrespondent der Army Times nicht im Entferntesten ausmalen konnte,

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