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Der Effekt - Roman

Der Effekt - Roman

Titel: Der Effekt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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atmete tief durch. Es war inzwischen unangenehm kalt geworden, aber die enge Straße stank trotzdem nach Müll und Hundescheiße, dem typischen Geruch von Paris jenseits von Kaffee und Schoko-Croissants.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Monique.
    »Es geht schon. Einen Moment noch.«
    Der Schwindel verging schnell. Allerdings fühlte sie sich noch etwas benommen, als sie zurück zur Hauptstraße gingen, aber es war nicht sehr schlimm. Monique stützte sie am Ellbogen, eine Geste, die Caitlin gern akzeptierte.
    »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, sagte Monique leicht gereizt. »Was meintest du damit, du würdest uns schützen?«
    »Das würdest du mir sowieso nicht glauben.«
    »Sag’s trotzdem.«
    »Nein. Wenn wir in ein paar Tagen immer noch am Leben sind, erzähl ich es dir, dann wirst du jedes Wort
von mir glauben. Aber jetzt noch nicht. Komm mit mir oder geh nach Hause, wo sie auf dich warten. Mir ist es gleich.«
    An der Kreuzung angekommen, hielten sie an. Die vielen Lichter und Passanten erweckten den Eindruck, als würden sie jetzt in die wirkliche Welt zurückkehren. Ein Bus rumpelte vorbei und stieß Dieselschwaden aus. Schuhsohlen wetzten über den Boden, Absätze klackerten auf den grauen Gehwegplatten, und überall waren Hunderte von Stimmen zu hören, die alle nur ein einziges Thema kannten: »Das Verschwinden«.
    Caitlin verlor für einen Moment den Mut. Sie hatte völlig irrational gehofft, die Rückkehr in die Alltagswelt würde ihr zeigen, dass ihr angeschlagenes Gehirn halluziniert hatte, dass die Nachrichten von der Katastrophe nur ein Produkt ihrer Fantasie war. Aber das stimmte nicht. Die Pariser waren völlig gebannt von den schrecklichen Neuigkeiten. Dass es wirklich keine Einbildung war, erkannte sie an den vielen Freudenschreien und der fröhlichen Begeisterung. Darauf hatten die drei Besoffenen auch getrunken, auf eine Welt ohne Amerika.
    Verdammte Arschlöcher.
    »Pardonnez-moi?«
    »Entschuldige. Ich habe nicht gemerkt, dass ich laut gedacht habe«, sagte Caitlin. »Ist schon gut. Lass uns weitergehen. Los.«
    Sie stiegen einen Hügel hinauf. Caitlin behielt die ganze Zeit die Straße und den Gehsteig auf beiden Seiten im Auge auf der Suche nach Anzeichen einer potenziellen Bedrohung, aber sie sah nichts weiter als den Feierabendverkehr und jede Menge Fußgänger. Viele schienen das Ereignis des Tages zu begrüßen. Nicht alle. Hier und da gab es Streitgespräche auf diese typische, emotionale Art der Franzosen, die niemals in Drohungen oder Gewalt umschlägt.

    »… es ist eine Katastrophe, das Ende der Welt …«
    »Nein. Es ist eine zweite Chance, ein Geschenk der Götter …«
    »So? Glaubst du etwa an Gott, hm?«
    »… das wird alles schlimm enden, es wird noch viel Übleres passieren …«
    »… ich werde mich aufs Land zurückziehen, noch heute fahre ich los. Glaub mir, das Beste, was man tun kann, ist die Stadt eine Weile zu meiden …«
    »Alles, was mich interessiert, ist noch ein Glas Champagner …«
    Caitlin blickte grimmig drein und stapfte mit gesenktem Kopf voran. Monique neben ihr schwieg. Auf jede Person, die das Verschwinden von Amerika als Katastrophe ansah, kamen zwei oder drei, die es großartig fanden. Den Fetzen der Unterhaltungen, die an ihre Ohren drangen, konnte sie entnehmen, dass es einen gewissen Konsens gab, dass die Amerikaner sich beim Test einer neuen Superwaffe, die sie im Irakkrieg einsetzen wollten, selbst ausgemerzt hatten. Niemand schien sich vorstellen zu können, dass sie hier in Paris das gleiche Schicksal ereilen könnte. Sonst würden sie wohl kaum in den Lokalen ihre Aperitifs trinken und ihr Abendessen zu sich nehmen. Oder die Ausfallstraßen waren verstopft, weil viele Menschen auf die gleiche Idee gekommen waren wie der Mann, der sich aufs Land zurückziehen wollte, weil er sich dort sicherer wähnte vor einer mysteriösen Kraft, die offensichtlich ganze Kontinente auslöschen konnte.
    »Es tut mir leid.«
    Caitlin hörte sie kaum. Moniques Stimme klang dünn, schüchtern und wurde beinahe ganz vom Straßenlärm überdeckt.
    »Was?«
    »Es tut mir leid, Cathy … Caitlin. Ich höre ja auch, was sie reden. Es ist eine Schande. Auf so eine Tragödie anzustoßen
und zu behaupten, dein Volk hätte nichts Besseres verdient.«
    »Das ist doch scheißegal«, meinte Caitlin in perfektem Französisch. Im Augenblick wollte sie nicht als Amerikanerin erkannt werden. »Dies ist nur eine Straße, Monique. Eine Gegend, in der sich Menschen

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