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Der Effekt - Roman

Der Effekt - Roman

Titel: Der Effekt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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in einem einzigen Chaos. Totales Durcheinander schien das vorherrschende Organisationsprinzip zu sein. Eine kopflose Hysterie herrschte vor, die man vielleicht an einem Amateurabend in einem tschechischen Bordell vorfinden konnte. Ritchie wurde von Angestellten und Aushilfen hin und her geschubst, die von einem Büro ins nächste eilten. Eine Frau auf hohen Absätzen versuchte ihm auszuweichen und stolperte gegen einen offenbar erst kürzlich in den Korridor geschobenen Kopierer. Sie stieß einen Stapel Kopierpapier um, und die Blätter verteilten sich auf dem Teppich. Fluchend ging sie in die Hocke, um alles wieder aufzusammeln. Hunderte von Stimmen überlagerten sich in den überfüllten Räumen, man sprach über die Köpfe hinweg oder an anderen vorbei miteinander. Jeder Einzelne schien davon überzeugt zu sein, dass sein Auftrag, seine Anfrage oder ein gerade aufgeschnapptes Gerücht das Wichtigste war, was es im Augenblick mitzuteilen gab. Auch die Medien waren natürlich anwesend. Fernsehteams und Zeitungsreporter bahnten sich den Weg durch die Menge und filmten alles, was ihnen vor die Linse kam oder hielten diesem und jenem ein Mikrofon unter die Nase, wenn sie den Eindruck hatten, eine wichtige Person oder einen Verantwortlichen gefunden zu haben. Ritchie presste seine Aktenmappe fester an den Körper und arbeitete sich durch den Tumult, aber leider …
    »Admiral, hallo, Admiral! Wird das Militär die Macht übernehmen? Wird das Kriegsrecht verhängt?«

    Und noch bevor er in einem Seitengang oder einer Abstellkammer verschwinden konnte, hatte einer dieser Kerle ihn schon gestellt. Grelles weißes Licht flammte auf und blendete ihn kurzzeitig, und er musste blinzeln.
    »Admiral. Sind Sie gekommen, um die Regierung zu übernehmen? Werden Sie den Notstand ausrufen?«
    Ritchie konnte nicht erkennen, wer diese dämlichen Fragen stellte, aber er spürte den Druck, der sich gegen ihn richtete, als sämtliche in der Nähe stehenden Reporter ihn aufs Korn nahmen, nur weil er der einzige Mensch in unmittelbarer Nähe zu sein schien, der Autorität verkörperte. Das lag natürlich an seiner Uniform und den vier Sternen an seinem Kragen. Eine quasselnde Horde von Journalisten drängte sich gegen ihn. Ohne weiter darüber nachzudenken, brüllte er laut einen Befehl.
    »Treten Sie zurück! Beherrschen Sie sich bitte!«
    Ah, verdammt.
    Er hatte instinktiv reagiert und zugelassen, dass Bestürzung und Überraschung angesichts der chaotischen Verhältnisse ihn überwältigten. Aber immerhin schien es zu funktionieren. Kaum war er laut geworden, ließ der Druck um ihn herum auch schon nach, und das Durcheinander schien sich ein klein wenig zu ordnen. Ritchie entschied, sich der Situation zu stellen.
    »Zuerst einmal machen Sie bitte die Lichter aus. Ich werde keine Fragen beantworten, wenn ich hier wie ein Kaninchen im Scheinwerferlicht stehen muss. Und zweites, nein, zum Donnerwetter! Ich bin nicht gekommen, um die Macht zu übernehmen. Was ist denn los mit euch? Ihr seid doch keine Kinder mehr. Hört doch bitte auf, euch so zu benehmen. Gouverneurin Lingle hat mich hergebeten, um mit mir darüber zu sprechen, welche Möglichkeiten es gibt, das Militär einzusetzen, um die zivilen Kräfte zu unterstützen. Das ist alles. Ich werde das Kriegsrecht nicht verhängen. Ich werde keine Befehle ausgeben. Und
wenn es Ihnen nichts ausmacht, werde ich jetzt meine Arbeit tun.«
    Bevor er sich davonmachen konnte, trat eine kleine zierliche Frau auf ihn zu, die eine enorme schwarze Frisur trug, und hielt ihm ein Mikrofon in den Weg. »Können Sie uns etwas zu den Vorgängen auf dem Kontinent sagen, Admiral? Hat das Militär das Phänomen ausgekundschaftet? Was werden Sie dagegen tun?«
    Ritchie war versucht, sie einfach links liegen zu lassen, aber gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass das lärmende Durcheinander, das ihn empfangen hatte, als er eintrat, völlig verstummt war. Ein farbiges Flimmern hinter der Phalanx der Reporter beantwortete für ihn die Frage, was die Ursache der plötzlich eingekehrten Ruhe war. Dort sah er sich selbst auf einem weiter hinten im Raum stehenden TV-Monitor. Sein Auftritt hier wurde womöglich live auf der ganzen Insel übertragen, vielleicht sogar in die ganze Welt. Der Drang, sich hinzusetzen und sich die Augen zu reiben, war geradezu überwältigend, aber diese Leute hier sehnten sich nach Führung und Gewissheit wie eine Horde von Kindern, die in Bedrängnis geraten war. Da niemand anwesend war, der

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