Der Effekt - Roman
diese Führung übernehmen konnte, schien der Kelch in diesem Augenblick ausgerechnet bei ihm angekommen zu sein. Es machte keinen Sinn, das zu ignorieren. Er beugte sich leicht nach vorn und legte vorsichtig seine Aktenmappe auf ein Pult. Die schwarzen, toten Augen der Kameras folgten jeder seiner Bewegungen. Die Geste verschaffte ihm etwas Zeit zum Nachdenken. Als er sich wieder aufrichtete, herrschte um ihn herum angespanntes Schweigen.
»Etwas Furchtbares ist in unserem Land passiert«, sagte er. »Ich bitte um Entschuldigung. Meine Familie kommt ursprünglich aus New Hampshire. Ich kann Ihnen nicht viel sagen, ich habe noch keine Antworten auf Ihre dringenden Fragen. Ich kann nicht mal genau erklären, was
eigentlich passiert ist und warum. Aber Sie haben Recht. Wir haben diese Erscheinung einer genauen Beobachtung unterzogen und jedes vorhandene Erkundungsgerät eingesetzt. Dabei sind einige Menschen zu Tode gekommen, aber ich möchte einen besonderen Punkt betonen. Eine große Anzahl unserer Truppen hat sich an diesem Morgen außerhalb der Vereinigten Staaten befunden. Sie sind voll funktionsfähig und bereit, alle Anstrengungen zu unternehmen, um Sie, das amerikanische Volk, zu schützen. Unsere Freunde und Alliierten haben sich ebenfalls bereiterklärt, uns zu helfen. Mit dieser Unterstützung werden wir diese Angelegenheit bewältigen, das verspreche ich Ihnen.«
Eine halbe Sekunde lang herrschte Totenstille, dann brach der Sturm der Medienleute erneut los. Sie bombardierten ihn mit Fragen und verlangten weitere Informationen. Er wollte sich schon beiseiteschieben, als eine Stimme mit breitem Südstaatenakzent das Stimmengewirr übertönte.
»Das wäre dann alles, Herrschaften! Sie haben gehört, was der Admiral gesagt hat. Er muss jetzt an einer sehr wichtigen Konferenz teilnehmen. Gouverneurin Lingle wird Sie gleich danach in Kenntnis setzen - ich kann jetzt noch nicht sagen, wann das sein wird, aber es wird sicherlich einige Stunden dauern. Sie haben also genügend Zeit, Ihren Pferden Wasser und Heu zu geben.«
Die Stimme des Mannes war so durchdringend, seine Aussage so deutlich und selbstsicher hervorgebracht, dass die Presseleute sofort spurten. Ritchie war dankbar dafür und gleichzeitig amüsiert. Als Bürger der Insel kannte er die meisten bekannten Gesichter aus der Administration, auch wenn Gouverneurin Lingle noch nicht lange im Amt war. Dieser mächtige, dröhnende Mann aber war ihm neu. Er fragte sich, wie er ihn hatte übersehen können, denn das schien geradezu unmöglich zu sein.
Der Mann trug einen makellosen, dreiteiligen blauen Nadelstreifenanzug und fasste Ritchie fest, aber durchaus freundschaftlich am Arm und zog ihn durch den Pulk der Journalisten.
»Immer schön lächeln«, murmelte er. »Nicht handgreiflich werden. Und gleichzeitig hübsch aufpassen, dass Ihre Brieftasche und Ihre Armbanduhr nicht abhandenkommen.«
Sein selbst ernannter Schutzengel bahnte sich seinen Weg durch die Reporter und Kameraleute unbeirrt und effektiv wie ein Rammbock, und auch die Regierungsangestellten weiter hinten machten ihm folgsam den Weg frei. Manche gafften Ritchie mit offenem Mund an, als wäre er ein Prominenter.
»Das waren dann wohl meine fünfzehn Minuten Ruhm«, stellte er fest.
»Nicht, wenn Sie noch mehr solche Auftritte in petto haben«, erwiderte sein Begleiter grimmig. »Ich wünschte, ich hätte noch ein paar von Ihrer Sorte. Ich bin übrigens Jed Culver, Anwalt aus Louisiana - ursprünglich. Hatte eine Consulting-Agentur in Washington, bis vor kurzem.«
Ritchie wechselte unbeholfen die Aktenmappe von der Rechten in die Linke und schüttelte ihm die Hand.
»Admiral James Ritchie, Mr. Culver. Sie klingen tatsächlich nicht so, als wären Sie von hier.«
Culver führte ihn um eine Ecke an einigen Sicherheitsleuten vorbei, die sich mit mehreren Angestellten angelegt hatten, die behaupteten, sie müssten unbedingt etwas in der Sicherheitszone erledigen. Jenseits der Sperre war es ruhiger. Hier waren die Dinge nicht so außer Kontrolle geraten wie im Korridor.
»Bin mit meiner Familie auf Urlaub hergekommen, wir hatten Glück. Heute Morgen habe ich dann die Nachrichten gesehen und dachte mir, dass die hier vielleicht Unterstützung
brauchen könnten. Lingles Pressechef war auf dem Festland.«
»Sie kennen sich also mit Pressearbeit aus?«
»O ja. Mit den richtigen Presseleuten sogar. Solchen Kalibern wie Jimmy Breslin oder Chip Brown. Die sind härter drauf als die Weicheier
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