Der Effekt - Roman
während sie Fifi eine Flasche tasmanisches Bier reichte. »Sie konnten bestimmt gut knoten.
Aber es gab einige Dinge, mit denen Dan sich gut auskannte. Seile, Segel, Boote, Strömungen, wen man bestechen konnte und wen nicht, die Reichweite und Geschwindigkeit jedes einzelnen Kutters der Küstenwache in den Keys. Er kannte sich mit allem aus, was mit Schmuggel zu tun hatte, darin war er gut. Aber als Pirat war er eine Niete.«
»Ja, klar, damit hat er sich bis auf die Knochen blamiert«, schniefte Fifi.
»Um was ging es also heute?«, fragte Jules und nahm sich ein Sandwich von einer Silberplatte auf der Ottomane direkt vor ihr. Sie war eigentlich gar nicht hungrig, sie wollte nur etwas zu tun haben. Fifi hatte einen halben Truthahn und einen spanischen Schinken in einem der großen Kühlschränke gefunden. Mithilfe von verschiedenen Gemüsesorten und Salaten hatte sie daraus ein kaltes Büffet bereitet. Trotzdem aß auch sie nichts, und Jules vermutete, dass die Küchenarbeit für sie mehr eine Art Therapie gewesen war. Bevor sie Schmugglerin geworden war, hatte Fifi eine Ausbildung als Köchin gemacht.
Frisch aufgebackene Brötchen, bestrichen mit schmelzender Butter, lagen neben einer Schüssel mit Spinatblättern, Walnüssen und gehobeltem Parmesan. Die Drogen, die Jules eingenommen hatte, taten zusammen mit dem Gin Tonic ihre Wirkung. Sie wurde schlagartig müde.
»Yeats, meine Freunde. Die Geschichte heute, das war reinster Yeats«, sagte sie, um ihre eigene Frage zu beantworten, auch wenn sie damit den anderen auf die Nerven ging. »Alles zerfällt, das Zentrum hält nichts mehr, die nackte Anarchie befällt die Welt. Das ist genau das, was jetzt passiert. Wir stehen am Rand der Anarchie.«
13
Honolulu, Hawaii
Auf der Fahrt am frühen Abend zur Residenz des Gouverneurs kam James Ritchie zu dem Schluss, dass die Ordnung auf den Inseln ziemlich rasch den Bach runtergehen würde, wenn sich nicht bald jemand daranmachte, alles zusammenzuhalten. Die Ausgangssperre wurde offenbar überhaupt nicht ernst genommen, und die Staatsmacht schien kein Interesse daran zu haben, sie zu erzwingen. Tausende von Menschen drängten sich in den Straßen, die meisten von ihnen in heller Aufregung. Sie belagerten die Geschäfte, in denen sie Notfallausrüstungen sowie Wasser und Nahrungsmittel bekommen konnten. Große, nicht gerade diszipliniert wirkende Massen hatten sich vor den Reisebüros und Flugagenturen zusammengefunden, die auch nach dem Ende der üblichen Geschäftszeiten noch geöffnet blieben. An jeder Tankstelle standen lange Autoschlangen vor den Zapfsäulen. Wohin diese Leute mit ihren Family Vans und Geländewagen nun eigentlich hinfahren wollten, war Ritchie schleierhaft.
In den letzten Berichten, die er aus Guantánamo und Kanada bekommen hatte, wurde ein eigenartiger Glanz beschrieben, der von der Energiewelle ausging. Als sie nun hinunter in den Regierungsbezirk fuhren, konnte Ritchie einen Blick auf den Pazifik werfen, der sich nach Osten bis zum Horizont erstreckte, und er hatte den Eindruck, dass der Sonnenuntergang heute viel konzentrierter und dichter wirkte als sonst. Die Brandung am Strand
von Waikiki kam in langgezogenen Wellen herein, immer in Dreierformationen, und die steife Brise über dem Meer setzte ihnen dicke Schaumkronen auf, bevor sie sich brachen. Das seltsame, geradezu ätherische Licht verlieh der weißen Gischt eine kirschrote Farbe, während die Surfer und Bodyboarder, die dort ihre Kurven fuhren, in zartem Rosa erstrahlten.
Im Regierungsbezirk waren weniger Menschen unterwegs, wahrscheinlich weil es hier nicht so viele Dinge zu kaufen gab, die man zum Überleben brauchte und horten konnte. Die Polizei zeigte Präsenz, und die Blinklichter von mehr als einem Dutzend Streifenwagen des Honolulu Police Departments tauchten die Gegend in grellrotes pulsierendes Licht, das den rosa Schimmer der untergegangenen Sonne überstrahlte. Sein Blackberry-Mobiltelefon summte, als der Wagen in die Beretania Street einbog und das Tor zum Regierungsgebäude passierte. Es war eine E-Mail von seiner Frau.
NANCY IST O.K.! FLUG AB O’HARE HEUTE MORGEN. IST IN LONDON. RUFE SPÄTER AN.
Ein warmes Gefühl durchflutete ihn, aber es verschwand sehr schnell wieder und hinterließ eine eigenartige Leere und einen leichten Schwindel sowie ein Gefühl von Schuld. Seine Tochter, das einzige Kind. Nancy hätte eigentlich schon längst in Europa sein sollen, wo sie einen längeren Urlaub verbringen wollte, um
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