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Der Ego-Tunnel

Der Ego-Tunnel

Titel: Der Ego-Tunnel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Metzinger
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kopieren. Die apperzeptive Agnosie wird häufig durch eine mangelnde Sauerstoffversorgung des Gehirns verursacht – etwa durch eine Vergiftung mit Kohlenmonoxid. Solche Patienten können sehr wohl ein zusammenhängendes, integriertes visuelles Weltmodell besitzen, aber bestimmte Arten von visueller Information sind für sie nicht mehr verfügbar, um damit ihre eigenen Handlungen zu kontrollieren. Auf der rein funktionalen Ebene können sie Gestaltmerkmale oder Hinweisreize, die die Trennung zwischen Figur und Hintergrund betreffen, nicht mehr benutzen, um ihr Sehfeld zu organisieren. 4 Stellen Sie sich nun als Nächstes vor, Sie wären nicht mehr in der Lage, Ihre Wahrnehmung eines Gegenstands mit dem begrifflichen Wissen zu verknüpfen, das es Ihnen gestatten würde, ihn zu identifizieren. Sie könnten deshalb auch nicht subjektiv erleben, was es ist , das Sie wahrnehmen. Beispiele hierfür sind die »Astereognosie« (die Unfähigkeit, Gegenstände mit Hilfe des Tastsinns zu erkennen, die typischerweise im Zusammenhang mit Verletzungen zweier bestimmter Regionen im primären somatosensorischen Kortex auftritt) oder die »Autotopagnosie« (die Unfähigkeit, Teile des eigenenKörpers zu identifizieren und zu benennen, ebenfalls verursacht durch bestimmte kortikale Hirnverletzungen). Es gibt auch Patienten, die unter der sogenannten disjunktiven Agnosie leiden und ihr Sehen nicht mehr mit ihrem Hören verschmelzen können. Ihr bewusstes Leben scheint sich in einem Stummfilm abzuspielen, bei dem zusätzlich eine falsche Tonspur läuft. Einer dieser Patienten beschrieb sein Erleben wie folgt: »Jemand stand direkt vor mir, und ich konnte sehen, wie sich sein Mund bewegte, aber ich bemerkte, dass die Mundbewegungen nichts mit dem zu tun hatten, was ich hörte.« 5
    Wie wäre es nun, wenn alles sich auflösen und auseinanderfallen würde? Es gibt neurologische Patienten mit schweren Hirnverletzungen, die »zerschmetterte Welten« beschreiben, aber in diesen Fällen besteht zumindest noch irgendeine Art von Welt – etwas, das man überhaupt als zerschmettert erleben kann. Wenn die vereinheitlichte, multimodale Szene – das Hier und Jetzt, die Situation als solche – sich vollständig auflöst, dann verlieren wir einfach das Bewusstsein. Die Welt erscheint uns nicht mehr.
    Eine ganze Reihe neuerer Ideen und Hypothesen in der Hirnforschung legen eine Vorstellung davon nahe, wie diese »Weltbindungsfunktion« realisiert sein könnte. Eine davon ist die sogenannte Hypothese des dynamischen Kernzustands 6 ( dynamical core hypothesis ), welche postuliert, dass aus dem konstanten Hintergrundgeräusch von Millionen von Nervenzellen, die unermüdlich vor sich hin feuern und auf diese Weise »miteinander sprechen«, ein großes neurodynamisches Muster hervortritt, das gleichzeitig hochgradig integriert ist und eine stark differenzierte innere Struktur besitzt. Giulio Tononi, ein Neurowissenschaftler an der Universität von Wisconsin in Madison, ist der führende Vertreter dieser Hypothese. Er spricht von einem »funktionalen Cluster« aus Nervenzellen, wohingegen ich selbst den Begriff der kausalen Dichte eingeführt habe. 7
    Der Grundgedanke ist einfach: Das globale neuronale Korrelat des Bewusstseins ist wie eine Insel, die aus dem Meer auftaucht. Wie wir bereits festgestellt haben, handelt es sich dabei um eine große Menge von neuronalen Eigenschaften, die dem Bewusstsein als einer Ganzheit zugrunde liegt, die also in jedem einzelnen Moment dietragende Basis für unser erlebnismäßiges Modell der Welt in seiner Totalität darstellt. Für das globale NCC gibt es viele verschiedene Beschreibungsebenen: Auf der Ebene der Dynamik könnten wir es zum Beispiel als eine kohärente Insel beschreiben, die aus dicht gekoppelten Ursache-Wirkungs-Beziehungen besteht und aus den Fluten eines viel weniger zusammenhängenden neuronalen Aktivitätsstroms auftaucht. Wir könnten aber auch eine neurokomputationale Perspektive einnehmen und das globale NCC als etwas betrachten, das eine noch unbekannte Funktion realisiert, sich aus Informationsverarbeitung im Gehirn ergibt und deshalb für uns als Träger von Information fungiert. Dann würde es zu etwas eher Abstraktem, das wir uns vielleicht als eine Informationswolke vorstellen könnten, die sozusagen über dem neurobiologischen Substrat schwebt. Die »Grenze« dieser Informationswolke ist etwas Funktionales, nichts Physikalisches. Die Wolke wird nur auf der physikalischen Ebene durch eine

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