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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Gesicht glänzend vom Wein.
    »Mweta ist ein eigentümlicher Mensch.«
    »Wie meinst du das, James?« Bayley liebte es leidenschaftlich, aus Menschen Vertraulichkeiten herauszulocken; es war Teil seiner Technik bei Frauen – sie waren fasziniert von dem Mann, der sie dazu gebracht hatte, ihre Geheimnisse zu verraten –, aber er empfand ein Vergnügen daran, seine Erpresserfähigkeiten im Überreden und Überrumpeln bei jedermann auszuprobieren. Bray ordnete die Olivenkerne auf seinem Teller: zuerst eine Neunerreihe, dann zwei Reihen, die eine zu fünf, die andere zu vier Kernen. Er lächelte.
    »Was meinst du damit? Du glaubst ihm und möchtest es eigentlich nicht? Du glaubst ihm nicht, möchtest es aber? Komm. Du mußt die Details kennen. Sag schon, James.«
    Er schenkte Neil Bayley den Blick eines älteren Mannes, der lächelte und einen jüngeren warten ließ. Bayley blickte skeptisch drein.
    »Er verlangt einen Vertrauensbeweis.«
    Neil Bayley hob seine goldblonden Augenbrauen. Er kam zu dem Schluß, daß es satirisch gemeint war. Bray war ihm entschlüpft, der folgende Austausch war nur noch ein Nachhutgefecht: »Interessant. Interessant. Seine frühe Schulung bei den weißen Padres.« »Das waren Presbyterianer. Er ist kein Katholik.«
    »Ach, natürlich. Dieser Wein schmeckt ein bißchen nach Karbid … Trank des Vergessens, Lethe. Ich bin am Ende. Ich falle in Ohnmacht.«
    Roly Dando und ein Mann mit einem jugendlichen Gesicht, weißem Bürstenhaar und einem Lächeln, unter dem sich seine Stirn in Falten legte, tauchten auf und lugten über die überfüllten Tische und den knapp darüberliegenden Rauch hinweg.
    »Kommt, wischt euch den Vino vom Kinn und laßt uns mal ran.« Dando stellte seinen Begleiter vor, einen amerikanischenJuristen, der sich auf dem Rückweg aus Südafrika und Rhodesien befand, wo er als Beobachter an politischen Prozessen teilgenommen hatte. Er hatte die bewußte Ungezwungenheit einer Berühmtheit in unangemessener Umgebung. Jeder andere als Roly Dando hätte ihn im Great Lakes Hotel zu gefrorenen Garnelen aus der Dublin Bay und Chablis eingeladen. »Was machst du denn da mit dem alten Bray? Sind dir die Puppen ausgegangen?« Dando und Neil Bayley rieben sich freundlich aneinander, obwohl Dando der alte Seehund war, der von dem jungen Bullen schon lange aus seiner Stellung als Herrscher über den Harem verjagt worden war, und der nun mit seinen starken weißen Zähnen und glänzenden Lippen auf ihn herunterlächelte. Bayley war noch ein kleiner Junge gewesen, der mit einem Schild um den Hals aufs Land evakuiert worden war, als der adrette Captain Dando (es gab ein Photo, das, von Festus abgestaubt, auf Dandos Kaminsims stand), sein Offiziersstöckchen unter dem Arm, durch die Straßen von Kairo gewandert war. »Ich zeig James bloß das Revier, Roly. Du hast es ja längst abgegrast, ist für dich uninteressant.« Der zu Besuch weilende Jurist ließ ein eingeweihtes kurzes Lachen hören, eifrig bemüht, einfach und menschlich zu wirken.
    »Und wie finden Sie die südafrikanische Justiz, Mr. Graspointner?« Der Flußgott war nicht nur gutaussehend und amüsant, er wußte auch, wer Graspointner war (Institute for Advanced Studies, Princeton, Autor von Standardwerken über Internationales Recht), und er wußte, wie man ein Thema ansprach, über das er selbst einiges Eloquente von sich geben konnte.
    »Nun, ich muß sagen, ich fand die Prozeßführung einwandfrei. Das war eine ziemliche Überraschung. Es war ein öffentlich zugänglicher Prozeß. Es war ein unparteiisches Gericht – obwohl, wie Sie wissen, ein paar der Angeklagten Weiße, andere Farbige waren. Der Richter war ein Bure. Aber die Durchführung des Prozesses entsprach den höchsten Standards der Gerichtsbarkeit, wie man sie überall in der freien Welt findet. Das Recht wurde getreu dem Buchstaben des Gesetzes gesprochen.«
    »Getreu dem Buchstaben des Gesetzes. Ah ja. Aber wie steht’s mit dem Gesetz, Mr. Graspointner? Die Gesetze der Republik Südafrika sind einzigartig in der Welt in ihrer Gleichsetzung der legitimen Bestrebungen der Mehrheit der Bevölkerung mit Verbrechen und Landesverrat. Legitime Bestrebungen, wie sie in der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen definiert werden. Würden Sie dem zustimmen?«
    »Im großen und ganzen ja. Das ist so.«
    »War dann das, was Sie gesehen haben, Gerechtigkeit, oder tut man nicht nur so als ob? Eine Menge Perücken, die durch den Reifen springen. Ist Gerechtigkeit

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