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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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alte Markthalle, an die hab ich gedacht. Aber der Chef des Wohlfahrtsamtes meint, wir wären dann für sie verantwortlich … sie sollten ja tatsächlich nicht hier sein. Sie würden dann bloß auf immer und ewig dableiben, zumindest einige. Das macht uns Kopfschmerzen.«
    »Was in aller Welt tun Sie aber?«
    Mary Odise war in Birmingham als Sozialarbeiterin ausgebildet worden und hatte dort Untersuchungen über Mißhandlung von Frauen, verwahrloste Kinder und Alkoholismus in dem Volk durchgeführt, das die weiße Zivilisation in ihr Land gebracht hatte. Während einer der Unabhängigkeitsparties hatte er neben ihr gesessen, und sie hatte für ihn eine Engländerin imitiert, die ihre scheußliche Leidensgeschichte vor ihr ausgebreitet und danngesagt hatte: »Bei Ihnen, Schätzchen, schäm ich mich nicht so, weil Sie ’ne Schwarze sind.«
    Sie war sehr professionell. »Zahl ihnen die Busfahrkarte und versuch sie dazu zu bringen, daß sie heimfahren. Aber jetzt geben wir statt dessen Busgutscheine aus – sie nahmen einfach das Geld und blieben da. Gestern hat mein Vertreter herausgefunden, daß ein paar von ihnen angefangen haben, die Gutscheine zu verkaufen.« Sie lachte leise, als sie ihn hinausbegleitete. Als die Tür aufging, lief eine träge Welle der Bewegung durch den Gang: Augen, die sich auf sie richteten, Körper, die sich vorbeugten. Auf der Treppe wurde er von einem alten Mann mit einem Stückchen Papier aufgehalten, das so oft gefaltet worden war, daß es an den verschmutzten Falzen in vier Teile auseinanderfiel. Ein verstümmelter Name darauf sah so aus, als gehörte er einer Baufirma; er schüttelte den Kopf, wies auf die Schlange in den Gängen und gab dem alten Mann eine halbe Krone. Er vermied es sorgsam, ein Wort Gala oder einheimischen Dialekt zu sprechen. Für diese bedauernswerten Menschen vom Land bedeutete nach langer Erfahrung weiße Haut Macht; wenn sich ihnen durch ihre eigene Sprache ein Weg öffnete, würde er ihrer Zudringlichkeit nicht mehr entkommen. Als nächstes werde ich aus mir einen Narren machen, der alte Menschen herumführt, um arme Teufel vom Land aufzuspüren, die irgendwo Tomaten verhökern.
    Die Hosen waren ein bißchen kurz. Er betrachtete sich in dem fleckig beschlagenen Spiegel an der Kleiderschranktür in seinem Zimmer. Er hatte doch vergessen, sich eine schwarze Fliege zu kaufen; aber Hjalmar hatte sicher eine. Ja, und es war eine schöne von feiner Machart und aus bester geriffelter Seide, an der Innenseite immer noch das Berliner Etikett. Emmanuelle lachte. »Kein Mensch trägt diese großen Schmetterlinge heutzutage. Ras wird Ihnen seine leihen. Sie sieht einfach aus wie zwei Stück schwarzes Band, die sich vorne überkreuzen.« Ras Asahe war bei der Familie Wentz zu Gast; auf dem runden Tisch unter der tief herabgezogenen Lampe standen Drinks. Es herrschte dieStimmung von Besorgtheit und Rücksichtnahme, die einem erfolgreich überstandenen Familienkrach folgt: Offenbar war man an Asahe wegen seines Onkels herangetreten.
    »Klar, wenn Sie kurz zu mir rüberkommen wollen?«
    Bray war aber mit der Fliege, die er hatte, ganz zufrieden. Hjalmar lachte über Asahes Wiedergabe eines Wortwechsels mit dem Direktor des Radioprogramms, dessen Stellvertreter er war, in englischer Sprache. Offensichtlich war der Mann Südafrikaner – Asahe imitierte den Akzent: Wie viele Gebildete im Lande war Asahe eine Zeitlang an einer Universität unten im Süden gewesen und hatte außerdem in England beim Rundfunk gearbeitet. »›… Zufällig handelt es sich dabei um die Standard-Aussprache der BBC ‹, hab ich zu ihm gesagt. ›Zum Teufel, Mann, aber es ist nicht unsere Standard-Aussprache.‹ – Es würde mich nicht überraschen, wenn er nun das Gerücht verbreitete, ich sei Neoimperialist …«
    Immer wieder blickte Hjalmar zu seiner Frau hinüber, um sich zu vergewissern, ob sie das amüsant fand. Wie eine alternde Schauspielerin hatte sie ihre Augenbrauen in die Höhe gezogen. Emmanuelle strahlte, flirtete mit ihrem Vater und sogar mit ihrem Bruder, nannte ihre Mutter »Darling« – ein Schauspiel für Ras Asahe, vielleicht aber auch, um sich selbst ein Familienleben vorzuspiegeln, das in ihrer Vorstellung dem anderer Leute entsprach.
    Es war ein warmer Abend, an dem der Mond an der einen Seite des Himmels aufging, während ein tiefvioletter Sonnenuntergang auf der anderen Seite noch nicht der Dunkelheit gewichen war. In der Luft lag der Geruch gekochter Kartoffeln, wie er in

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