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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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lächelte und schließlich mit ihm zu singen anfing. Ihre Stimmen waren weich und harmonierten wunderbar. Sie sangen irgendein banales populäres Lied aus einem amerikanischen Film der fünfziger Jahre.
    Die Weißen applaudierten donnernd; sie waren einfach begeistert: Vielleicht war es eine unbewußte Erlösung, diesen schwarzen Mann von allen schwarzen Männern in der alten, für sie akzeptablen Rolle des Entertainers zu sehen. Die Schwarzen sahen bloß zufrieden zustimmend drein; nach vierzig Jahren, in denen ihnen gesagt worden war, wann sie zu kommen und zu gehen, wann sie zu stehen und wann ihren Hut abzunehmen hatten, bestimmte nun ein schwarzer Präsident darüber, was man tat und was nicht. Dann half Mweta seiner Frau vom Podium herunter, gab die Gitarre zurück und verließ den Saal durch ein Spalier von Leuten, die spontan unter dem leuchtenden Blick aus diesem schwarzen Gesicht, diesem Lächeln eines verwundbaren Glücks, auf ihn zudrängten. Er dachte daran, wie er Bayley gegenüber von Mweta gesagt hatte: »Er braucht einen Vertrauensbeweis.« Was er wirklich gemeint hatte, war, daß es Unschuld, eine Art Unschuld erfordert, um einen Vertrauensbeweis zu verlangen. Er redete gerade mit dem Regierungssprecher, der ihn – als erster schwarzer Journalist des Landes – um ein Interview gebeten hatte, als die unvermittelte Rückversetzung nach England gerade bekanntgemacht worden war. »Was mir damals am meisten Kopfzerbrechen machte, war, daß ich fürchtete, Sie könnten bemerken, daß ich noch nicht stenographieren konnte …« Sie lachten – ganz im Sinne der Konvention, daß die Vergangenheit immer etwas Amüsantes ist. Aber er spürte in sich eine gespannte Besorgnis um dieses Wesen, das Mweta hieß, eine Sammlung innerer Aufmerksamkeit, Zuneigung und Verteidigungsbereitschaft für Mweta, eine Verteidigungsbereitschaft, die sogar gegen ihn selbst, gegen Bray, gerichtet war. Seine Sinnewaren überwach gegenüber der Welt, die den Geist Mwetas zu verformen drohte – weiße Geschäftsleute, schwarze Politiker, das gebieterische Blitzen von Ndisi Shunungwas randloser Brille, die OAU – sein Hirn pickte wahllos Drohungen aus der Vergangenheit heraus, aus Zeitungen und dem, was gerade um ihn herum passierte. Es muß
ein
Wesen geben, an das man glaubt, trotz allem,
ein
Wesen!
    Die Kapelle füllte den Saal wieder mit Lärm. Sofort setzten sich die Leute ohrenbetäubend in Bewegung, tranken und tanzten.
     
    Am nächsten Morgen, als er wieder auf der Straße zurück nach Gala war und Bäume und Gruppen von Bambusstauden gleichförmig auf ihn zukamen, dachte er an die vergangenen paar Tage, so als gehörten sie dem Leben eines anderen.
    Eine gluckenhafte Angst, gestern nacht.
    Schreib mir, schreib mir. Wir müssen in Verbindung bleiben
. Über Shinza, versteht sich; fahr nach Gala zurück und behalt Shinza im Auge. Vergiß nicht, mit mir wegen Shinza
in Verbindung zu bleiben
.
    Aufruf zu einem Vertrauensbeweis; dazu muß man unschuldig sein. Blödsinn. Es ist ein Akt beginnenden Messianismus – der älteste politische Trick der Welt.
    Vermute ich.
    Es lag ein heilsamer Nachgeschmack darin, sich selbst zu verhöhnen, weil man sich hatte bluffen lassen.

TEIL DREI

 
     
    TAG UM TAG verbrachte er unter dem Feigenbaum, um das Material für seinen Bericht zusammenzustellen. Es regnete nicht mehr; am nächtlichen Himmel bildeten die Sterne Quarzkrusten und Lichtborsten, und der kleinste Laut hallte wider. Kalimo machte ein Feuer aus Holzscheiten, auf denen die getrockneten Flechten wie krause Medaillons in Grau und Rostrot wirkten.
    In der über Gala hängenden Stille kam er sich wie in einer Art akustischer Spannung gefangen vor – etwas in ihm spitzte die Ohren wie ein Tier, das von einem Traum gestreift wird. Horchen; dann und wann hob er den Kopf von den Papieren, und das Summen des üppig wuchernden, unbekümmerten Lebens im Baum – in dem es raschelte, kroch, sauste, nagte, knarrte, summte – schläferte ihn nicht ein. Gala besaß die unheimliche Eigenschaft der Urwaldsiedlung, die alles zudeckt und verschluckt, was das lastende Grün umfängt und den Blicken entzieht. Tief unter den Mahagonibäumen wanderten die immer gleichen, aus der Sicht von oben verkürzten schwarzen Figuren umher. Kein Laut, den die bloßen Füße im Staub erzeugt hätten; ein Stimmengewirr wie von Vögeln im Käfig der Äste. Sklavenjagd, portugiesische und englische Strafexpeditionen – das Kielwasser des ständig sich

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