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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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erneuernden Blattwerks schloß sich hinter ihnen. Das ferne Klirren und Knirschen des kleinen Industriegebiets wurde so ebenfalls unhörbar. Nichts, was sich an diesem kleinen, abgelegenen, friedlichen Knotenpunkt von Straßen vor aller Augen ereignet hätte. Jede Veränderung war ein Schrei, den dieses Meer aus Bäumen verschluckte. (Eines Tages, während der Mittagspause, wurde er plötzlich von der Vorstellung erfaßt, diese nämliche Stille der Sonne und der mächtigen Bäume dauere fort, während alles andere aus seiner Bahn geworfen werde – er sah einen brennenden Wagen und ganz weit unten, unter dem wechselnden Schattenmuster der Bäume, blutende Leiber. Einen Augenblicklang war das Bild übermächtig lebendig; eine Gänsehaut überlief ihn – wie die Erfahrung des
déjà vu
, eine Reaktion auf einen physischen Reiz –, ein Rinnsal aus kühler Luft war zwischen sein feuchtes Hemd und den warmen Rücken eingedrungen.)
    Ab sofort brachte er ein Gutteil seiner Zeit in Sampson Malembas Haus unten im alten Stadtviertel zu.
    Kamaza Phiri war es gelungen, Geldmittel aufzutreiben, die dank einer Sofortmaßnahme für den Betrieb einer technischen Schule zur Verfügung gestellt wurden. Bray hatte zu ihm gesagt: »Ist Ihnen klar, daß das, was Malemba und ich tun, ein bißchen was von einem Wiederbelebungsversuch der ehemaligen staatlichen Werkstätten hat, die von Ihrem Ministerium geschlossen wurden? Das Ganze steht im Widerspruch zur gegenwärtigen Politik.« Phiri klappte seine Handflächen auseinander; sie hatten die Farbe von Teerosen. »Es ist ein Experiment, das den Zielen des Bray-Reports dient« – die Bezeichnung amüsierte Bray, und seine Mundwinkel gingen in die Höhe – »und ich bin bereit, es zu unterstützen.«
    Sampson Malemba war nachgerade begeistert. Er klapperte die Fabriken ab, um von den Leuten zu erfahren, welche Grundkurse man am dringendsten benötigte. Er hatte sich in Schweden nach den Preisen für die Bestückung von Maschinenhallen erkundigt. »Warum in Schweden, Sampson?« Der aber hatte seine Hausaufgabe auf dem geblümten Wachstuch seines Küchentisches gemacht: »Der Vertrag – verstehen Sie. Das Darlehen, das die Regierung bekommen hat. Wir haben da einen Restkredit für Land- und Industriemaschinen offen.«
    Sie planten kleine Zentralen in den Dörfern, die als Filialen der Zentralstelle in Gala selbst geführt werden sollten – man wollte jeden einzelnen Häuptling bitten, eine große Hütte zu errichten, für die dann seitens des Projekts das unumgänglich notwendige Inventar für den Unterricht im Schuhmacher- und Schreinerei-Handwerk und – das war das vordringlichste – für Wartung und Reparatur der vom Landwirtschaftsministerium den Kommunen leihweise überlassenen Landmaschinen zur Verfügunggestellt werden sollte. Malemba hatte einen großartigen Einfall gehabt: Mechaniker der beiden hiesigen Kfz-Werkstätten sollten dafür bezahlt werden, daß sie in den Siedlungen Abendkurse abhielten oder aber Wochenendkurse, falls die Entfernung zu groß sein sollte. Das Hauptproblem bestand darin, daß man erst für sämtliche Unterrichtszweige qualifizierte Kräfte auftreiben mußte; aber – und darin waren beide leidenschaftlich einer Meinung – wenn man sich davon schon abschrecken ließ, dann konnte man in Afrika überhaupt nichts erreichen. Die Kfz-Mechaniker stellten jene beispielhafte Notlösung dar, wie man sie in jedem einzelnen Fall suchen mußte – sie sprachen die gleiche Sprache, und obwohl es unter der Kolonialherrschaft niemals eine entsprechende Lehrlingsausbildung für Kfz-Mechaniker gegeben hatte, hatten sie sich im Zuge ihrer Arbeit für
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zu Fachkräften ausgebildet. Jahrelang hatten sie in Gala die Wagen und Traktoren der weißen Kommune in Schuß gehalten – ihre eigene Kommune hatte weder das eine noch das andere gehabt.
    Ein weiteres Problem war, wo man die Zentrale unterbringen sollte. Bray war eigentlich davon überzeugt, daß sie nicht im ehemaligen Viertel der Schwarzen, aber auch nicht auf dem Areal der neuerrichteten Wohnanlage und des Arbeiterheims untergebracht werden sollte, sondern in der »Stadt« selbst. Für den Durchschnittseinwohner von Gala war es wichtig, daß ein Grenzpfahl mit aller Entschlossenheit in jenes Gebiet getrieben würde, das immer im Besitz des weißen Mannes gewesen war und das jetzt die Weißen und die schwarze Beamtenschaft als Revier miteinander teilten. Er wollte, daß die Leute, die bloß in die Stadt kamen,

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