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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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wirklich den ganzen Mann – und man weiß nie, wann man das nächste Mal ein paar freie Stunden zum Ausspannen haben wird …« Die Großzügigkeit eines Mannes, der Versprechungen macht und gleichzeitig weiß, daß man ihn nie auffordern wird, sie einzulösen.
    Und das Mädchen hatte gesagt:
Vielleicht hat Mweta es bloß getan, um dir eine Freude zu machen
. Nun würde es »keine so unliebsamen Vorkommnisse« mehr geben; auch das, um mir eine Freude zu machen? Es gab keinen anderen Grund, aus dem ihn der Polizist hätte aufsuchen sollen. Bray saß in dem abgenutzten Stuhl vor dem Schreibtisch, der eigentlich nicht der seine war, und nahm die Brille ab, um sich die Augen zu reiben. Mit den Händen schob er die Haut zu beiden Seiten der Nase über die Jochbeine zurück, den weichen Wulst am Hals in die Höhe und drückte die Augenbrauen so hoch hinauf, daß sie vollständig deformiert waren. Shinza war über die Grenze; hatte Freunde dort; wieder. Die Frau hatte das gesagt, dieses: wieder. Shinza wechselte in beiden Richtungen über die Grenze, und vielleicht wissen das auch – er sah das zufriedene, von Schlägen zugerichtete Gesicht des Polizisten vor sich, der Lebalisos Stelle angetreten hatte – vielleicht wissen sie davon, vielleicht auch nicht. Mweta war wahrscheinlich verletzt, weil er nicht schrieb. Es wäre so einfach, ein Blatt Papier zur Hand zu nehmen und ihm zu schreiben:
Du hattest mit deiner Vermutung, daß Shinza nicht zu Hause ist, recht, seine Frau sagt, er überquert die Grenze ständig in beiden Richtungen. Vielleicht hast du eine Idee, mit wem er sich dort drüben trifft.
    Er war stark kurzsichtig, und das Abnehmen der Brille bewirkte,daß er die Welt in sich hineinzog wie eine Schnecke ihre Fühler. Das Grün vor dem Fenster draußen war undeutlich verwischt. Die Titel der Nachschlagewerke auf dem verstaubten Regal – Handelsadreßbücher, ein alter Webster – waren für ihn unentzifferbar. Er saß inmitten seiner optisch eingeengten Welt, eigensinnig, untätig. Aber seine Gedanken ließen sich nicht aufhalten; sie waren hinter Shinza her, jagten einmal diese Sackgasse hinunter, dann jene, verfolgten und verwarfen Bruchstücke von Tatsachen und Vermutungen.
    Er hatte Rebecca erzählt, er habe Shinza nicht sehen können, weil dieser krank gewesen sei; alle übrigen hatten ohnedies nur eine vage Vorstellung von seinen Absichten und Zielen. Sie brachte nun eine Menge Zeit im Haus zu. Anfangs kam sie nur nachts, verließ das Haus, wenn sich die Tlumes schlafen gelegt hatten, kam mit ihrer winzigen Stablampe quer durch die Büsche und wurde um zwei oder drei Uhr früh an der Hand zwischen den dunklen Bäumen hindurch nach Hause eskortiert. Die Nächte waren zu dieser Jahreszeit so strahlend schwarz, und die Sterne leuchteten so tief unten und so nahe nebeneinander wie in einem Kometenschweif, und die Abkühlung der Luft ließ die Zikaden und Baumfrösche verstummen; sie konnten einander atmen hören, während sie die kurze Strecke eilig zurücklegten. War er wieder zurück, dann war das Feuer duftende Asche, das Zimmer warm; jeder einzelne Abend verschwendete sich und hinterließ keinerlei Nachwirkungen. Dann aber kam sie schon zum Essen und blieb über Nacht bei ihm und ging erst, knapp bevor Kalimo frühmorgens das Haus aufsperrte, und die Kinder weiter oben in der Straße »in ihr Zimmer platzten«. Sie erzählte ihm, daß sie mit Edna Tlume im Morgengrauen in der Küche säße, und daß sie gemeinsam Kaffee tränken – Edna stand sehr früh auf, um vor Antritt des Dienstes im Krankenhaus ihre Hausarbeit zu erledigen.
    »Und was denken die Tlumes?«
    »Oh, die sind sehr diskret. Wie ich dir gesagt habe. Sie denken gar nichts.«
    Wie zum Trotz erinnerte er sich an die Leichtfertigkeit, mit der man unten in der Hauptstadt über sie geredet hatte.
    »Weißt du, was Edna gesagt hat? – ›Gut und schön, aber wo ist dein Mann. Ein Mädchen muß einen Mann haben.‹ Das war so typisch die Mentalität der Schwarzen.«
    Sie stand neben ihm beim Tisch, wo er über seinen Papieren saß. Er zog sie an sich und drückte sein Gesicht durch den Stoff ihres Rockes hindurch an ihren Bauch, dann schob er den Pullover hoch und entblößte ihre Brüste, die den warmen Atem ihres Körpers ausströmten. Sie hatte eine Art, ganz stillzustehen, geduldig in ihrer Freude, gestreichelt zu werden. Er fand es ungemein erregend. Zu Anfang hatte er ihren Körper nicht für schön gehalten, aber als er ihm vertraut

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