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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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zwischen ihnen und ihrer Heimat ein ganzer Staat. Keine Chance für einen Infiltrationsversuch. Dort, wo sie sich jetzt aufhalten, haben sie keine gemeinsame Grenze mit ihrer Heimat. Shinza könnte ihre Chance sein.«
    Sämtliche Kommentare von ihrer Seite waren halbe Fragen: »Wenn er hier tatsächlich Schwierigkeiten machen will.«
    »Ich glaube folgendes: Hätte sich Shinza tatsächlich zurückgezogen, um eine weitere Familie großzuziehen, dann würde er nicht über die Grenze zu Somshetsi gehen.«
    »Was könnte er dabei für sich herausholen?«
    »Weiß ich nicht.« Er hielt seine Zunge im Zaum, als er sich bereits sagen hörte, Shinza könnte, auf dem Umweg über Somshetsi, vielleicht von anderer Seite Unterstützung erhalten, von einer Seite, die Mweta entmachten wollte; er könnte eventuell zu Waffen kommen, könnte mit Somshetsi irgendeine Art Allianz bilden – Shinza! Absurd, was da aufblitzte. Shinza und Mweta gehörten in den Kontext heftiger, verbaler Schlagabtausche im Lancaster House, mitsamt den üblichen Opfern und Leiden eines Unabhängigkeitskampfes gegen eine Macht, die –im Gegensatz zu den Siedlern, die die Meinung vertraten, sie sei dazu da, ihre Interessen zu vertreten – einfach bloß den Zeitpunkt der Entlassung in die Freiheit bestimmte. Die Rolle eines Präsidenten – neben dem Premierminister Mweta – paßte zu Shinza besser als die eines Mannes, der im Busch Intrigen schmiedete.
    Es klopfte – tief unten an der Verandatür mit dem Fliegengitter davor. Rebecca rief hinaus: »Ja, Suzi?« Die Kinder rannten nie einfach so herein, ohne vorher vorsichtig anzuklopfen; er fragte sich, ob sie sie darauf gedrillt hatte, oder ob sie eine Art instinktiven Taktgefühls besaßen oder gar Angst davor hatten, sie würden herausfinden, wovon sie nach Ansicht der Erwachsenen nichts wissen sollten. Die Stimme des kleinen Mädchens klang gedämpft.
    »Komm herein und sprich laut. Ich hab keine Ahnung, wovon du redest.«
    Das Mädchen stürmte durch die Tür und sprudelte irgendeine Beschwerde über die Jungen hervor.
    »Beachte es einfach nicht. Sie sind eben doof.«
    »Das sag ich ihnen aber, daß sie doof sind.«
    Rebecca lächelte zu ihm herüber, die schuldbewußte Vorsicht persönlich. »O nein,
denen
darfst du das nicht sagen. Das ist ein Geheimnis, das nur wir beide miteinander haben.«
    Die Entrüstung des Mädchens legte sich, als er es zu sich rief und ihm eine Zigarrenkiste mit Mahagonibohnen gab, die er vom Baum vor dem Haus Sampson Malembas gepflückt hatte. »Irgendwer muß da Löcher durchbohren, damit ich eine Halskette daraus machen kann.«
    Er ging mit Kindern äußerst höflich und zuvorkommend um; wieder: der perfekte Onkel. »Ich hab nicht das richtige Werkzeug für die Löcher, Suzi, aber ich werd dafür sorgen, daß das in der Gandhi-Schule unten für dich gemacht wird, wenn du mir ein wenig Zeit läßt.«
    Das kleine Mädchen sagte, ihrer Sache sicher: »Das wird mein Daddy für mich machen, wenn er kommt.« Die Kinder schienenkeinerlei Zeitgefühl zu haben; sie sprachen von ihrem Vater so, als wäre er Teil ihres täglichen Lebens.
    Als das Kind gegangen war, saß sie da, die Hände zwischen ihren gespreizten Schenkeln, und starrte auf die Schreibmaschine. Sie drehte sich um und sagte: »Du willst jetzt also wieder hinunterfahren.« Sie meinte, in die Hauptstadt, zu Mweta.
    »Das werde ich nicht.«
    »Nein?«
    »Nein.«
    Sie hatte wohl nicht richtig aufgepaßt, war irgendwo auf der Strecke geblieben: Sie blickte stoisch verloren drein. Er nahm es bloß zur Kenntnis, ohne einen speziellen Grund dafür zu wissen, und kam herüber, um sie geistesabwesend und zärtlich zu berühren; es gab so viel im Leben des anderen, in das sie mit ihren Fragen nicht eindrangen, nie eindringen würden – egal, soviel hatte er ihr anzubieten: dem Augenblick Dauer zu verleihen. Mit einem Zeigefinger strich er ihr über die Augenbrauen, um sie über den dichten Wimpern hinaufzuziehen, die immer an der Stelle, wo das obere Lid mit dem unteren zusammenkam, ein wenig verfilzt waren – in den äußeren Winkeln jener Augen, die heute die Farbe von Tee hatten. Keines ihrer Kinder hatte ihre Augen.
    »Es wäre das Ende«, sagte er.
    Er entfernte sich von ihr. Fast wie eine Anklage empfand er: Mein ganzes Leben lang hättest du mich kennen müssen, um zu begreifen. Aber er redete weiter so, als unterhielte er sich mit Olivia,
die genau das gleiche empfinden würde wie er
; bloß daß er sich mit Olivia

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