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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Keine andere Wahl.«
    »Der gute alte Colonel – träumt von den Zeiten, in denen er hinter dem
boma
fleißig Revolution machte.«
    »Du bist da. Und du liebst diesen Mann«, sagte sie in einer Art komischer Schwermut.
    »Welchen Mann?« sagte er und tat so, als nähme er sie nicht ernst, indem er sich den Anstrich gab, als nähme er sie sehr ernst.
    »Nun, alle beide, soweit ich weiß. Aber bei Mweta kann ich es direkt sehen. Und damit zählt dieses ganze Gerede über die Nichteinmischung und so weiter überhaupt nichts mehr. Du bist an jemanden gebunden, und die Dinge entwickeln sich aus sich selbst heraus, wie in einer Ehe, egal, was passiert – es gibt immer Dinge, die auf das eigene Konto gehen, denn schließlich und endlich, es ist eben einfach da – das, was
du
deine Situation nennen würdest. Du steckst mittendrin. Was soll man schon machen. Man vergißt, was die Leute sagen, wie das, was man tut, nach außen hin aussieht, was man von sich selbst denkt und hält. Man tut einfach, was man tun muß, um weiterzuleben. Ich sehe nicht, wie das anders funktionieren soll.«
    Er war sich gleichzeitig seiner Skepsis gegenüber ihrer »erhabenen« Vorstellung jener höheren, geschlechtslosen Liebe bewußt (ein Überbleibsel der Predigt irgendeines anglikanischen Pfarrers in der Mädchenschule in Kenia) wie der Tatsache, daß ihm ihre Vorstellung, er sei einer Sache fähig, die sie für ungewöhnlich und endgültig hielt, schmeichelte – ihn rührte? Und daneben die Gegenwart Mwetas, Mweta, wie er sich hinter seinem Schreibtisch erhob.
    »Du wärst wohl schnell wie der Blitz bei Mweta, um ihm zu erzählen, daß Shinza tatsächlich die Grenze überquert, und das wahrscheinlich, um Kontakt mit Somshetsi aufzunehmen.«
    Sie wartete kaum, bis er geendet hatte. Sie warf ihren Kopf zurück, hatte die vollen, blassen, rissigen Lippen zusammengezogen, zwischen ihren zusammengepreßten Augenbrauen die Längsfalte: »Ja, selbstverständlich würd ich das tun. Das ist doch natürlich.«
    »Ich halte nicht viel von dieser Art von Liebe«, sagte er, so als spräche er zu ihrer kleinen Tochter.
    »Naja, typisch englisch. Irgendwo muß es ja herauskommen – diese Vorstellung, daß man seine Gefühle nicht zeigen darf.«
    »Meine liebe kleine Rebecca, die Engländer haben sich zum vielleicht ungehemmtesten Volk der Erde entwickelt. Du warst schon lange nicht mehr in England; überall verkündet und demonstriert man Liebe – alle möglichen Arten von Liebe, egal, wo man hinschaut. Man findet es absolut in Ordnung, darüber zu sprechen.«
    »Ich war überhaupt nie dort. – Aber trotzdem, das ist ja nicht deine Generation. Bray – o ja, die alten Tabus hängen dir immer noch an …« Während sie sich gegenseitig aufzogen und lachten, verloren sie den Faden des Gesprächs.
    Nach dem Essen saß sie zusammengekauert am offenen Feuer und las plötzlich laut aus ihrem Buch vor: »Die Menschen müssen einander lieben, ohne von dieser Liebe viel zu wissen.«
    Er suchte gerade etwas in einem Aktenordner und blickte auf, unaufmerksam, aber nachsichtig.
    Sie lehnte sich auf ihren Ellbogen zurück und beobachtete ihn. »Da hast du’s.«
    Er begriff, daß sie das auf ihn gemünzt hatte – und auf Mweta.
    Sie (er und sie) hatten dieses Wort, diese alte Phrase, im Umgang miteinander niemals verwendet, nicht einmal als Zauberformel, das Abrakadabra des Miteinander-Schlafens. »Was für ein Buch ist das?«
    Sie lächelte. »Erinnerst du dich an den Tag, an dem du zur Fischgefrieranlage fuhrst? Bevor wir abfuhren, hab ich’s mitgenommen.« Sie hielt das Buch in die Höhe; es war Camus.
Die Pest
– eins von den Taschenbüchern, die ihm Vivien bei seinem Umzug nach Gala mitgegeben hatte.
    Also schon eine gemeinsame Vergangenheit.
    Was mache ich nur mit diesem armen Mädchen? An wen wird sie als nächstes weitergereicht werden? Und aus welchem Grund mische ich bei diesem Stafettenlauf mit?
    Er erteilte ihr Sprachunterricht – Gala. Seine Methode war eine Art Spiel – sie dazu zu bringen, daß sie mit einem Satz, einer Erzählung anfing, und daß sie – wenn sie das richtige Wort für das, was sie sagen wollte, nicht kannte – einfach ein anderes an seine Stelle setzte. Sie fing etwa so an: »Ich ging die Straße hinunter – ich ging weiter, bis ich an einem kleinen Haus vorbeikam, das bedeckt war mit … mit …« »Weiter.« »Mit … Petersilie …« Sie lachten und stritten sich. Wenn die Sätze nicht bloß lächerlich waren, dann

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