Der Ehrengast
ich nicht.« Sie dachte dabei wohl an die Loyalität der Tlumes, der Alekes; die Weißen kannte sie eigentlich nur als Eltern von Kindern, die mit den eigenen zur Schule gingen. »Er lebt in seiner eigenen Welt. Nur ab und zu erinnert er sich daran, daß es uns gibt. Gordon wird dir gefallen, du wirst sehen. Er ist ein sehr angenehmer Mensch. Alle mögen ihn.«
Es klang, als redete sie von einem alten Freund, einem eher eigenwilligen Typ. Er sagte: »Wenn ich ihn seh, werd ich an ihn glauben.«
»Oh, ich weiß schon.« Einem Impuls folgend, stieg sie aus der Wanne, tropfnaß und mit nassen Fingern knöpfte sie ihm Hemd und Hose auf und preßte sich an ihn, ein Kontakt, der ihn mit nervösem Unbehagen erfüllte und ihm gleichzeitig höchst angenehm war.
Frühmorgens erwachte er von einem heftig aufwallenden Gefühl der Bestürzung, wohl weil Kalimo an der Tür stand undsie immer noch da war – offenbar hatten sie verschlafen. Das Herz, das sich in ihm wie zur Faust ballte, trieb dieses Wissen unter Schlägen in eine andere Ecke der Qual, einer, die vom Tag davor zurückgeblieben war. Kalimo öffnete die Tür, brachte aber keinen Kaffee herein. In Wirklichkeit war es noch viel zu früh für den Kaffee, und er war gekommen, um Bray zu sagen, jemand wünsche ihn zu sprechen. Bray verstand nur zur Hälfte und vergaß, daß das Mädchen bei ihm war, als er hinausrief: »Kalimo, was in aller Welt ist denn los – sag, was du sagen möchtest, komm her …« Und Kalimo machte die Tür auf und stand da, dem Bett gegenüber, und tat – nachdem er schnell hingesehen hatte – so, als bemerkte er auch nicht, daß sich die Frau bewegte. »
Mukwayi
, er sagen, er der Bruder von Ihrem Freund, dort – dort …«
Unter den schmächtigen Papaubäumen vor der Küchentür stand, in dem eigentümlich künstlichen Licht der Morgendämmerung, ein Mann, vornübergebeugt wegen der Kälte.
Shinza wünschte ihn zu sehen. »Im Haus von Major Boxer! Hält er sich da im Augenblick auf?«
»Ja. Oder Sie können mir sagen, an welchem Tag Sie kommen werden. Er wird hinkommen.«
Seine Blicke folgten dem Mann – einer jener Gestalten in Hemd und Hosen, denen man auf sämtlichen Straßen des Kontinents begegnen kann, wie sie – meilenweit hinter ihnen nichts, meilenweit vor ihnen nichts – schweigend ihren Weg gehen. Die Sonne ging hinter den Papaubäumen auf wie zwischen den gespreizten Fingern einer Hand, ohne Wärme zu spenden. Sie schien ihm direkt in die Augen, und er wandte sich ab. Er ging um die Vorderseite des Hauses herum und stand unter dem Feigenbaum. So viele Arme wie Shiva und totenstill, immer stiller als alle anderen Bäume, selbst in dem sanften und schweigenden Morgen, weil sein Blattwerk wegen des hohen Alters so spärlich war, daß die Luftströmungen sich nicht bemerkbar machten. Was er fallen gelassen hatte, lag um ihn herum; Früchte, die, ohne zu reifen, getrocknet und abgefallen waren, tote Blätter,Larven und Kokons. Sie war angezogen, als sie aus dem Haus trat, blickte sich einmal um und kam dann zu ihm herüber.
»Vielleicht fahr ich heute oder morgen über den Tag weg. Nein, nicht in die Hauptstadt.
Er
möchte mit mir reden – der aus den Bashi.«
Als sie über das struppige Gras ging, registrierte er betroffen, wie schicksalsergeben sie aussah, und rief leise: »Rebecca!« Sie hielt inne. »Alles in Ordnung?« – Freilich, Kalimo war unvermittelt hereingekommen; er mußte es zwar ohnehin schon wissen, aber dennoch … Sie nickte heftig mit dem Kopf, wie ihre Kinder es manchmal taten. Erst als er auf der Straße war, fiel ihm ein, daß er nicht bemerkt hatte, ob sich Kalimo beim Servieren des Frühstücks irgendwie anders verhalten hatte. Von Olivia und ihm selbst als einem Paar, einer Familie, war er wie ein Besitztum abhängig gewesen; und doch hatte er nicht einmal durch die Art seines Schweigens Olivias Anwesenheit – in – ihrer – Abwesenheit verteidigt. Vielleicht empfand selbst Kalimo auf irgendeine Weise Brays Gegenwart in bezug auf sich selbst als anders als das, was sie früher gewesen war – zwar blieb er der Diener, aber obwohl sich für ihn in materieller Hinsicht nichts geändert hatte, war die emotionale Abhängigkeit zwischen Herrscher und Beherrschtem verschwunden. Und mit dieser Abhängigkeit waren auch die Eigentumsrechte verlorengegangen und gleichermaßen die Betroffenheit. Vielleicht aber war Kalimo auch nur älter geworden und sah in Olivia nun einen Teil einer Vergangenheit.
Die
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