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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Leuten, die – wie die Ameisen aus einem Haufen, den man gerade mit dem Fuß umgestoßen hat – herumlaufen, ohne eine Ahnungzu haben, wohin, die Möglichkeit für ein neues Leben geben. Stimmt’s, James? Worauf aber lassen die Zeichen schließen? Reginald Harvey erklärt ihm, für die Gesellschaft komme die Erschließung unbedeutender Nebenminen nicht in Frage, es sei denn, der Goldpreis ziehe an, und er schluckt das, ohne ein Wort zu sagen. Nun, eigentlich nicht ohne Worte – Harvey hat Worte, noch und noch, Harvey braucht nur so nebenbei zu erwähnen, daß die Gesellschaft weit mehr Profit machen kann, wenn sie in Südafrika expandiert, und
ihn
haut das um, und dann kann er gar nicht oft genug betonen, wie sehr er die Gefälligkeit der Gesellschaft, hier überhaupt Dividenden zu kassieren, zu schätzen weiß. Aber wir haben uns das so vorgestellt! – O ja, ich weiß schon, innerhalb von zwei Jahren wird jede Stelle bis hinauf zum Obersteiger mit einem Schwarzen besetzt sein. Und? Was weiter? Welche Art von Fassade wird denn da aufgebaut, wenn nicht gleichzeitig neue Arbeitsstellen geschaffen werden? Wir rücken auf die Sessel der expatriierten Weißen nach und arbeiten vielleicht nur, damit sie weiterhin ihre Dividenden kriegen, nachdem sie sich in ihrer ›Heimat‹ in den Ruhestand gesetzt haben? Haben wir uns das so vorgestellt? Himmelherrgott, James, wozu haben wir all die Jahre geredet, wenn das dann dabei herauskommt? Wie rohe Eier faßt er die Engländer und Amerikaner an – weil wir Kapital aus dem Ausland brauchen. Aber wenn man’s sich weiterhin von den ehemaligen Stellen zu holen versucht, dann kriegt man es weiterhin zu den alten Bedingungen. Das sollte selbst einem Kind einleuchten. Und die Profite kommen
ihren
Ökonomien zugute, nicht der unseren. Dieses große neue Zuckerprojekt, von dem wir schon so viel gehört haben – worauf läuft das letztlich hinaus? Sie kriegen den Zucker zu Vorzugspreisen, anstatt daß wir Reis anbauen und mit ihm auf dem offenen Markt einen besseren Preis erzielen. Wir exportieren ihnen unser Eisenerz zu ihrem Preis und kaufen dafür von ihnen den Stahl, ebenfalls zu ihrem Preis. Wir verkaufen noch immer unsere Baumwolle und kaufen ihre Stoffe – die Tschechen haben sich angeboten, uns die notwendigen Apparaturen undFachleute für eine Textilfabrik zu schicken, aber das gebundene Darlehen, das er für die Baumwollentkörnungsanlage von den Japanern bekommen hat, ist vertraglich an die Bedingung geknüpft, daß sie die gesamte Ernte kriegen. Also wären wir wieder da, wo wir waren. Haben den Stoff am Leib, den sie produzieren und an uns wiederverkaufen. Wir könnten das gleiche haben wie Nyerere – eine Textilfabrik
und
unsere Entkörnungsanlage, eine Textilfabrik, die uns die Chinesen bauen, das gesamte Knowhow, das wir benötigen, und die ganze Sache zinsfrei finanziert. Wovor hat er Angst? Er möchte das Spiel nur mit dem Teufel spielen, den er kennt, hm? Abgesehen von ein oder zwei großen Projekten, die vorläufig nur auf dem Papier existieren, und ein paar ungünstigen neuen Vertragsabschlüssen für die Expansion der bestehenden Industrie wie den Handel, den er mit den Fischereikonzessionären abgeschlossen hat, etwas Sinnloseres war ja noch nicht da, eine Katastrophe – was haben wir also, wenn man davon absieht? – Die Abfüllanlage für Coca-Cola und eine Fabrik für die Verpackung von Transistorradios aus Deutschland in Plastikköfferchen, weil unsere Arbeitskräfte billiger sind als die europäischen und sie einen größeren Gewinn haben, wenn wir die Radios kaufen? Erziehen wir unsere Leute bloß dazu, daß sie die Dinge brauchen, die
die
verkaufen? Du lieber Himmel, steigen wir nur vom Export von Rohmaterialien auf Flaschenabfüllung und Montageanlagen um – nie aufs Produzieren?«
    »Es ist ein mühsamer Anfang, ja.«
    »Ein Anfang? Wie sehen denn seine Ziele aus?« Shinza schien zu warten, daß das Echo verhallte. »Es war überhaupt nicht der Anfang, den wir geplant hatten. Er hat vergessen! Vergessen, was sich dieses Land vorgenommen hatte. Was wir versprochen haben. Die großen Versprechungen von Politikern aus dem Busch. Sollen sie jetzt ruhig kalte Getränke abfüllen und dabei ihre Freiheits-Shirts abtragen.« Er stieß ein kurzes bellendes Lachen aus. »Könnte man sich nicht hinsetzen und losheulen?« sagte er. »James, muß man nicht heulen wie ein räudiger Hund?«
    »Shinza, ich bin wohl naturgemäß davon weniger betroffenals du

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