Der Ehrengast
Dinge richten würden, die jenseits dessen lagen. Na, das ist eine alte Geschichte, schade um die Zeit, die man daran verschwendet – eines der Ergebnisse unserer Politik« – plötzlich bezog er sich auf sich als auf einen Teil der Kolonialverwaltung – »die darauf abzielte, die Bildung von politischen Parteien so lange zu behindern, bis sie schließlich die Form von Massenbewegungen annahmen und explodierten – und dann konnte man konsequenterweise damit rechnen, daß sie zu Gewalttaten neigen würden, weshalb sie im Interesse von Recht und Ordnung verboten werden konnten … Im Endeffekt aber hat man damit politische Parteien wie die PIP um das für sie elementar wichtige Stadium einer Funktion als politische Schulen und ideologische Diskussionsforen gebracht und darum, ein Instrument zu sein, mit dessen Hilfe die blinde und quälende Sehnsucht danach, zu
haben
, in etwas umformuliert werden konnte, das noch lange nach dem« – seine Hand beschrieb in der Luft eine Spirale – »grandiosen Antiklimax der Freiheit, die man nun auf dem Papier besaß, tragfähig sein würde. Damit setzte man sich nicht ernsthaft auseinander – eine praktische Maßnahme dagegen, daß man nicht einfach das alte Leben aus den Händen des weißen Mannes empfing, man wollte ein neues, noch nie gekanntes Leben haben. Man hat sich damit einfach nicht auseinandergesetzt. Nur wir haben das, unter uns, getan. Und im Hinterkopf selbst der intelligentesten und vernünftigsten Leute steckt da das undefinierbare Gift einer Vorstellung von Beute, die dadurch ausgelöst wird, daß man das Ende der Fremdherrschaft vor Augen hat. Beute dieser oder jener Art … es muß nicht gerade das Einwerfen von Schaufensterscheiben sein, weißt du. ›Wenn die Zeit gekommen ist, dann kaufen wir mal ordentlich ein.‹«
»Vielleicht.« Shinza lenkte ein, wie jemand, der anderer Meinungist. »Vielleicht liegt die Schuld auch bei mir. Ich hätte es sehen müssen.«
»Was hättest du denn schon tun können, so wie die Dinge lagen?«
»Ich hätte sehen müssen, was für ein Mensch
er
war.«
Bray lachte kurz auf. Es klang wie ein Schnauben. »Ich sage immer das gleiche, und es läuft immer auf das gleiche hinaus. Beide zusammen hättet ihr es machen müssen. Ihr
wart
es. Man wußte nie, wer von euch einen Einfall gehabt hatte – selbstverständlich unter Berücksichtigung der Auswirkungen, die deine Erfahrung mit der Gewerkschaft hatte. Es war nicht vorauszusehen, wie
er
sich entwickeln würde, wenn ihr beide euch trennt. Oder, anders herum, wie es mit dir weitergehen würde.«
»Ich hab immer gewußt, was wir als nächstes tun sollten. Bei mir hat sich überhaupt nichts geändert. Ich war vermutlich bloß zu verdammt faul … manchmal muß man sich selbst einen Tritt in den Hintern geben.« Er faltete seine Hände hinter dem Kopf, lächelte und verlieh seinen Worten durch das Leichte dieser Geste einen doppeldeutigen Charakter.
»Und du denkst definitiv nicht daran, eine neue Partei zu gründen?«
Shinza schüttelte den Kopf, bevor die Worte ganz heraus waren. »Ich hab’s dir schon gesagt. Die PIP ist dieses Land – genau wie er sagt: die PIP hat es gemacht. Alles muß aus der PIP kommen. Er hätte die Partei natürlich gerne gesäubert, ausgenommen wie die verdammten Fischereikonzessionen. Die PIP ist die Partei, die ich gegründet habe.«
»Es war auch eine Suggestivfrage«, sagte Bray.
»Ich verberge nichts vor dir. Du siehst alles genau so wie ich, auch du hast dich nicht verändert, es ist nur so, daß du die gleiche nette, höfliche Art zu sprechen hast wie eh und je, wirklich nett, du deckst ihn … James! Wenn du zwischen Mweta und dem Schicksal dieses Landes zu wählen hättest – du lieber Himmel!«
»Er hat mir mehr oder weniger das gleiche gesagt.« Es klang trocken, rücksichtsvoll, wie nebenbei; er lächelte.
»Freilich mit einem wesentlichen Unterschied – was auch immer er an Entscheidungen für dieses Land trifft, muß richtig sein.« Wie Finger streckte Shinza seine Zehen aus, umklammerte die Lederknöpfe der Sandalen.
»Nein, nein – ich will nur andeuten, ich würde tun, was man gewöhnlich ›einfach alles‹ nennt – mit anderen Worten, etwas, das mir gegen den Strich geht –, wenn es nur helfen könnte.« Noch immer die alte Jungfer, die die Spitzenuntersätzchen zurechtrückt, dachte er.
»Helfen? Wobei?« sagte Shinza. »Dabei, daß das ganze Land beinahe genauso zusammengehalten wird wie früher; dabei, die Art
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