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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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…« Und dann, da Shinza in seiner Leidenschaftlichkeit die Atmosphäre aufgerissen hatte, sagte er laut, was er dachte: »Du siehst das mit deiner schrecklichen Klarheit … weißt du …? Aber vielleicht ist es einfach … vielleicht erwartest du zuviel in zu kurzer Zeit, weil du nicht mitten im Staub stehst, der aufgewirbelt wird, nichts davon hast du selbst zu tun brauchen. – Ich beobachte das jetzt an mir selber, weil ich in diesem Ausbildungsprojekt drinhänge. Mweta hat nur ein paar kurze Monate gehabt.«
    »Ja, und die zwanzig Prozent vom Budget, die der Erziehung zufließen sollten, wie steht’s damit? Jeden Pfennig mußt du zusammenkratzen, damit du nur überhaupt was voranbringst, hm? Inzwischen kritzeln schon weitere dreißigtausend Kinder ihre Rechenergebnisse in den Lehm unserer sogenannten Schulen. Und nicht lange, und wieder werden fünfzehntausend Jugendliche halb ausgebacken herauskommen und in die Städte abwandern.«
    »Es werden sicher nicht mehr als zwölf Prozent des Budgets werden.«
    »Ein paar Monate! James, wir wissen, daß ein paar Monate für uns eine lange Zeit sind. Die PIP ist zu einer typisch konservativen Partei geworden – die überall, wo nur möglich, an den Kontakten mit der alten kolonialistischen Macht festhält, westlich orientiert, partikularistisch. Es ist ein Lehrbuchbeispiel.
Seine
Form der Demokratie entpuppt sich als eine, die die Rechte der alten körperschaftlichen Interessen mehr als die irgend jemandes anderen schützt – die der Häuptlinge, der religiösen Organisationen, der vorkolonialen Volksgruppen. Fremde Interessen. Eins wie das andere. In sieben Monaten gibt man zu erkennen, in welche Richtung man marschiert. Entweder stimmt sie von Anfang an oder nie. Sieh dich um. Dieser Kontinent, in diesem Augenblick. Man hat nicht jahrelang Zeit, man kriegt keine zweite Chance.«
    Es war kalt hingeworfen, ein Faktum, an dem es nichts zu rütteln gab; trotzdem gleichzeitig eine seltsame Mischung aus Drohung und Besorgnis. Während Bray von seiner Argumentation mitgerissen wurde, entstand in ihm ein altes Verantwortungsbewußtseingegenüber Mweta. »Ich bin nicht der Meinung, daß er es so schlecht gemacht hat, wie du glaubst. Aber die Richtung …«
    Shinza beobachtete ihn, fischte aus der schlaff herabhängenden Brusttasche seines Freizeithemds aus japanischer Baumwolle eine Zigarette, und die Erkenntnis, daß er Bray ein Eingeständnis abgerungen hatte – jetzt zeigte sie sich deutlich –, wuchs trotz der Kontrolle seines Gesichts, während Bray redete.
    »Der Weg, den er eingeschlagen hat, da würd ich schon sagen, daß du recht hast.« Bray machte eine Bewegung ungeduldiger Geringschätzung. »Mir ist klar, daß es nicht so ist, wie es sein sollte. Wenn du oder er es ernstgemeint hat – damals. Ich muß es daran messen, was ihr damals wolltet. Die Art des Staates, die euch damals vorschwebte, die euch meiner Meinung nach vorschwebte, als ich« – seine Stimme wurde dann bis zur Selbstverleugnung bescheiden, wenn es darum ging, seine Rolle in einem Kampf zu definieren, den er nicht als den seinen beanspruchen wollte – »beschloß, mich euch anzuschließen. Es ist schon wahr – was ihr absolut richtig saht, war, daß die Tatsache, daß man an die Macht kam, nicht bedeuten durfte, daß sich die Emanzipierten einfach vermehren würden, während die Restbevölkerung weiterhin eine Klasse von in die Freiheit entlassenen Sklaven bleiben würde …« Lächelnd spielte er auf die Wendungen von Fanon an. »Es ist nie besser ausgedrückt worden.«
    »Das hat man vergessen. Und noch etwas, das wir von Fanon gelernt haben: Man muß das Volk lehren, ›Haltet den Dieb!‹ zu rufen.«
    »Kann mich jetzt nicht erinnern …«
    »Schlag’s nach«, sagte Shinza. »Schlag’s nach.«
    »Lange her, daß ich ihn gelesen habe. – Ich frag mich jetzt, ob ihr eine ausreichend deutliche Vorstellung davon hattet, wie ihr es angehen solltet, das zu bekommen, wovon wir so überzeugt waren, daß wir es wollten. Die komplizierteren Ziele blieben weitgehend Gegenstand einer Art privaten Debatte zwischen dir und Mweta …«
    »… und dir«, sagte Shinza.
    »… und einer Handvoll anderer, nicht einmal einer Handvoll. Es ließ sich einfach nicht ändern. Alles war ganz versessen darauf, wie sich die PIP ausschließlich und möglichst problemlos als Kraft organisieren ließe, die die Unabhängigkeit durchsetzen konnte. Von wie vielen Leuten durfte man erwarten, daß sie ihren Blick auf

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